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Kultur: Schlurfen und Swingen

Wie, so fragten sich kubanische Musiker in den vierziger Jahren, wäre es möglich, den gemessenen Danzón, jenes kreolische Erbe französischer Kultur und spanischer Regimentskapellen, rhythmisch aufzumöbeln? "Mambo" hieß eine schnellere Gangart, "Danzonete" war der Versuch, ihn mit Son und melancholischem Gesang anzureichern.

Wie, so fragten sich kubanische Musiker in den vierziger Jahren, wäre es möglich, den gemessenen Danzón, jenes kreolische Erbe französischer Kultur und spanischer Regimentskapellen, rhythmisch aufzumöbeln? "Mambo" hieß eine schnellere Gangart, "Danzonete" war der Versuch, ihn mit Son und melancholischem Gesang anzureichern.Doch allein der Mambo geriet zum Schlager.In den USA wurde er, im Bigband-Gewand, sogar als einheimischer Stil gefeiert.Auf Kuba dagegen blieb der Danzón-Mambo in den Tanzlokalen der farbigen Bevölkerung stecken.Mit seinen vertrackten Synkopen galt er für die weiße Gesellschaft als ungeeignet.

Aber dann hatte der Violinist Enrique Jorròn die zündende Idee, und sie entfachte eine musikalische Revolution.Jorròn gab dem Danzón-Mambo noch mehr Bewegung, hob die Synkopen auf und ließ sein Orchester kurze, populäre Verszeilen im Chor singen, die durch markante Violinphrasen unterstützt wurden.Das Publikum war hingerissen.Jorròn nannte den neuen Rhythmus zuerst "Mambo-Rumba", doch schließlich mußte eine eindeutige Bezeichnung her.Denn die Tänzer hatten bereits eigene Schritte zur Musik entwickelt.Während eines Konzerts im Jahr 1953 kam Jorròn plötzlich die Erleuchtung: Als sich die Schuhe der Tanzpaare über den Boden schoben, nahm er das rhythmische Schlurfen wahr, das sich wie ein leises Tschak-tschak-tschak anhörte.Oder war es das Geräusch des geschrappten Flaschenkürbisses? Jorròn jedenfalls war begeistert von dieser Lautmalerei und gab dem Kind seinen endgültigen Namen: Cha Cha Cha.Damit hatte der 70jährige Danzón einen neuen Sohn bekommen.

Allerdings gab es Streit um die Frage, ob Jorròn tatsächlich der Geburtshelfer war.Weil zumindest eine Band davon fest überzeugt war, lieferte ihr Jorròn zahlreiche Kompositionen, die mittlerweile Evergreens geworden sind.Ihr Name war zunächst nur in der Provinz bekannt gewesen: La Orquesta Aragón.Daß die Gruppe nach der Begegnung mit Jorròn in nur drei Jahren zur berühmtesten Charanga Kubas aufsteigen sollte, hätte niemand für möglich gehalten.Seit 1955 konnte man die Charangas auf Kuba schon in zwei Gruppen unterteilen: in der einen befand sich das Orquesta Aragón, alle übrigen sammelten sich in der anderen.

Nun präsentierte sich das Orquesta Aragón auf der ganzen Insel mit ihrem leichten, fröhlichen und spritzigen Sound, der mit Streichern, Piano und schmetternder Perkussion noch erfrischender daherkam als jede atlantische Meeresbrise.Und die Texte der Lieder hatten tropisch-männlichen Biß.Als dann schließlich Nat King Cole "El Bodeguero" anstimmte, ging der erste Cha Cha Cha um die Welt.1960 wurde im Kongo sogar einen "Independance Cha Cha" geschrieben, und in Europa gelang die Quadratur des Kreises: eine Verwandlung des üppigen Balztanzes in maßgeregelte Turnierschritte.Heute wird das Orquesta Aragón von der zweiten Generation weitergeführt, die in modernisierter Form an das Feeling der Väter anknüpft.Und die Mischformen von damals, Bolero-Cha, Swing-Cha, Flamenco-Cha oder Samba-Cha, sind so populär wie nie zuvor.

Das Orquesta Aragón spielt morgen im Tränenpalast, 21 Uhr

ROMAN RHODE

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