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Kultur: Schluss mit der Nostalgie!

Die Europäische Filmakademie und ihr Preis für die Fellini-Hommage „La Grande Bellezza“.

Preisverleihungen gehen gern mit Verschwörungstheorien einher. Europa kann ein Lied davon singen, immer wenn der European Song Contest über die Bühne geht. Geheimabsprachen! Gekaufte Stimmen! Aserbaidschan! Die wüstesten Spekulationen machen dann regelmäßig die Runde.

Gleich vier Trophäen gibt es am Samstagabend bei der Gala zum Europäischen Filmpreis für „La Grande Bellezza“: Paolo Sorrentinos Fellini-Hommage gewinnt als Bester Film, in den Kategorien Regie und Schnitt, Hauptdarsteller Toni Servillo wird zudem für seine Rolle als alternder Bonvivant geehrt. Die Begeisterung über den großen Sieger hält sich in Grenzen im Haus der Berliner Festspiele – und schon schießen Gerüchte ins Kraut. Die Italiener, die Spanier und die Franzosen hätten ja auch die meisten Stimmen in der Europäischen Film Akademie, ist bei der Party nach der Gala immer wieder zu hören. Da sei es nur logisch, wenn außerdem Ehrenpreisträgerin Catherine Deneuve, der 85-jährige Komponist Ennio Morricone und der mit einer Sonderauszeichnung bedachte Pedro Almodóvar den gesamten Abend lang mit Honneurs und Ovationen gefeiert werden. Jeder Laudator, jeder Preisträger verneigt sich vor ihnen, allein zehn Schauspieler sind zu Ehren Almodóvars aus Madrid angereist.

Aber die Zahlen beweisen das Gegenteil: Manipuliert ist hier garantiert nichts. Die größte Gruppe unter den 2900 Mitgliedern der European Film Academy, die über die Preise abstimmen, stellen die Deutschen – mit allein 500 Filmschaffenden. Italiener, Franzosen, Spanier bringen es bloß auf jeweils gut oder knapp die Hälfte, den Komödienpreis muss Almodóvar denn auch an die Dänin Susanne Bier abtreten. Und trotz der starken Präsenz können die Deutschen lediglich den „Discovery“-Preis für „Oh Boy“ ergattern; Darsteller Tom Schilling geht ebenso leer aus wie Barbara Sukowa als „Hannah Arendt“.

Das Votum für „La Grande Bellezza“ kam also zweifellos länderübergreifend zustande. Europas Filmbranche liegt die mit Selbstironie gewürzte gediegene Feier des Gestern und der eigenen Dekadenz einfach mehr am Herzen als jenes vitale Gegenwartskino, an dem es auf dem Kontinent wahrlich nicht mangelt.

„Es ist Zeit, mit der Nostalgie aufzuhören“, ruft Ada Solomon, Produzentin des rumänischen Berlinale-Siegers „Mutter & Sohn“, in den Saal, als sie ihren Preis als beste Koproduzentin entgegennimmt. Es gelte, vorwärts zu schauen und sich um die nächste Generation zu kümmern, bei allem Respekt für die Eltern .

Dass Abdellatif Kechiches umwerfender Cannes-Sieger, das lesbische Liebesdrama „Blau ist eine warme Farbe“, nicht den Hauptpreis davonträgt (und Moderatorin Anke Engelke sich lieber über die schwierige Aussprache des Namens mokiert), auch nicht die charmante, höchst ungewöhnlich erzählte belgische Familienballade „The Broken Circle“, bestätigt die Diagnose der leidenschaftlichen Rumänin. Die European Film Academy sollte sich ihren Appell zu Herzen nehmen. Denn anders als der Oscar hat der Europäische Filmpreis keine verkaufsfördernde Wirkung. Er könnte aber wenigstens Signalwirkung entfalten und in disparaten Jahrgängen wie diesem auf Neues, Verkanntes, Mutiges aufmerksam machen. Dafür bräuchte es keineswegs mehr Geld – die Akademie ist finanziell spärlich ausgestattet –, sondern Ideen. Und womöglich eine Jury, nicht die anonyme Mitgliederwahl. Andernfalls läuft der Filmpreis Gefahr, sich als jährliches Veteranentreffen selbst zu genügen.

Der große Sieger Paolo Sorrentino wurde in Berlin von seinen Produzenten vertreten. Er weilte gerade beim Filmfest in Marrakesch, als Jury-Mitglied. Auch dort wurden am Wochenende die Preise vergeben. Gewonnnen hat ein Erstlingsfilm. Christiane Peitz

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