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Kultur: Schmetterling in Beton

Heute eröffnet die neue Kindertagesstätte an der Jerusalemer Straße in Berlin-Mitte

Wenn irgendwann in zwei- oder dreitausend Jahren die Archäologen die tieferen Schichten der einstigen Mitte Berlins ergraben, dann werden sie auf dem Bodenniveau des 21. Jahrhunderts neben verrosteten Einkaufswagen, Beton und unverrottbaren Plastikrohren vermutlich auch auf die Negativformen von Schmetterlingen stoßen. Schmetterlinge, die mit ausgebreiteten Flügeln so groß sind wie zwei Hände, die man aneinander hält. Und vielleicht werden sich die Archäologen dann wundern, dass es je so große, so exotische Exemplare dieser Tiere in den nördlichen Breiten gegeben hat. Doch natürlich wären sie dann einer Illusion erlegen. Denn die Schmetterlinge, die sich unübersehbar in den hellen Beton am Eingang der neuen Kindertagesstätte in der Jerusalemer Straße in Berlin-Mitte drücken, sind nie geflogen. Es sind nur die Abgüsse der Fassadenplatten jener DDR-Kita, die hier gestanden hat. Übrig geblieben sind nur die Schmetterlinge, die der Berliner Architekt Volker Staab in seine neue Kita, die heute eingeweiht wird, als poetisches Erinnerungsmotiv eingebracht hat.

Zwei bemerkenswerte Museumsbauten außerhalb Berlins haben Staab bekannt gemacht: das Neue Museum in Nürnberg und das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt. Mit dem Bau einer Kita hatte sich Staab in Berlin nun einer weitaus bescheideneren Bauaufgabe zu widmen. Im Schatten der Hochhäuser an der Leipziger Straße und gleich gegenüber vom Justizministerium ist ein kleiner Bau entstanden, der sich trotz seiner lediglich drei Geschosse gegenüber seinem Umfeld zu behaupten weiß. Seine Fassade wird durch den Wechsel zwischen einem dunkelroten Putz und den mit eloxiertem Aluminium verkleideten Fensterbändern gekennzeichnet. Zusätzlich wachsen wundersame rechteckige Erker aus dem kubischen Baukörper hinaus, die der Lochfassade Relief verleihen und den Betrachter neugierig machen. Als klassische Erker können diese ebenfalls mit Aluminium verkleideten Ausstülpungen nicht dienen. Schließlich sind sie etwas tiefer gesetzt als die Fensterbrüstungen. Und tatsächlich erschließt sich ihre Funktion erst im Inneren des Gebäudes: Sie bieten spannende Ausgucke, aber auch Kuschelecken für die Kinder.

Die Struktur des Gebäudes ist ebenso schlicht wie bestechend. Daran haben auch die vergleichsweise geringen Baukosten von rund 6,75 Millionen DM nichts geändert. Vielmehr belegen sie, dass gute Architektur keineswegs allein eine Frage der Bausumme ist. Dem Eingang schließt sich im Erdgeschoss ein großzügiges Foyer an, das gleichzeitig als Multifunktionsraum dient. Dort treten auch die dunkelroten Bänke und Schränke erstmals in Erscheinung, die sich als Motiv auch in den Obergeschossen wiederfinden und einen Rückbezug zur Fassadenfarbigkeit bieten. Die beiden Obergeschosse sind jeweils auf U-förmigem Grundriss entstanden und legen sich um eine zentrale Terrasse mit hellen Ort-Betonwänden. Von dort aus können die Kinder über eine Treppe in den weitläufigen Garten gelangen. Da die offenen Seiten der beiden U-förmigen Geschosse gegeneinander versetzt ausgeführt wurden, ist es Staab gelungen, ein höchst reizvolles Raumerlebnis zu schaffen. Denn während sich das erste Obergeschoss zum Garten hin öffnet, öffnet sich das zweite Obergeschoss zur Jerusalemer Straße hin.

Von einer Art hellem Beton-Tor gerahmt, führt eine Treppe von den Terrassen in den Garten hinab, so dass die Rückansicht der Kita trotz der Kleinheit des Gebäudes eine fast schon monumentale Note erhält. Im Inneren legt sich um die zentralen Terrassen jeweils ein breiter Flur, von dem aus es zu den Gruppenräumen geht. Vorgesehen ist die Kita für maximal 180 Kinder. Sie verteilen sich auf 14 Gruppen, die jeweils über ihre eigenen Räume verfügen – farblich differenziert, um den Wiedererkennungswert zu erhöhen. Einem Badezimmer und einer Garderobe schließen sich jeweils zwei Spielräume an. Und dort wird auch schnell klar, dass die vor die Fassade gesetzten Erker, die jeweils an einer Ecke vollständig verglast sind, schnell zum bevorzugten Ort der Kinder werden dürften – nicht nur für einen Mittagsschlaf mit Aussicht.

Immer wieder für Irritationen sorgen die Löcher, die der Künstler Fritz Balthaus in das Haus gebohrt hat, und die an einer Stelle sogar den Boden eines Gruppenraumes durchbrechen. Im Garten haben die Landschaftsarchitekten LML-Levin Monsigny dafür gesorgt, dass spielerische Ordnung herrscht. Dabei ist eine grüne Oase zum Toben und Spielen inmitten der Stadt entstanden. Eine große Wiese wird auf der einen Seite wie bei einem Schulzimmer im Freien von Tischen und Bänken begrenzt, während gegenüber Buddelkästen und Spielgeräte Platz gefunden haben.

Angesichts der leeren Bezirkskassen und den rückläufigen Kinderzahlen dürfte die Kita in der Jerusalemer Straße bis auf weiteres eine der letzten neuen Kindertagesstätten in Berlin sein. Das ist besonders schade, weil gerade diese Bauaufgabe in den letzten Jahren eine Menge architektonischer Kreativität freigesetzt hat, die man im übrigen Stadtbild gelegentlich vermisst. Volker Staabs gelungene Schmetterlings-Kita, die bei aller Einfachheit durch ihre differenzierte Raumgestaltung besticht, setzt dabei einen bemerkenswerten – vorläufigen – Schlusspunkt unter dieses Kapitel der Berliner Baugeschichte. Jürgen Tietz

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