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Kultur: Schmetterlinge der Erinnerung

Das Romandebüt des Theaterregisseurs Luc Bondy

Der Platz zwischen den Zeilen ist groß, und das muss er sein. Denn von dort steigt das Fluidum auf, das dieses Buch so charmant macht. Luc Bondy, der große Theaterregisseur, hat mit „Am Fenster“ seinen ersten Roman geschrieben – wobei von einer geschlossenen Handlung keine Rede sein kann; dafür ist der Raum des Ungesagten sehr weit. Von einem langen Sanatoriumsaufenthalt zurück, steht ein gewisser Donatey am Fenster seiner Zürcher Wohnung, schaut hinaus und in sich hinein. Seinen Zustand melancholisch zu nennen, wäre untertrieben. Donatey, der Zeit seines Arbeitslebens Assistent eines berühmten Theaterregisseurs war, ist der Gegenwart stark entrückt und befindet sich in einem regen seelischen Austausch mit Verstorbenen.

Erinnern – das klingt viel zu aktiv, Donatey ist mehr eine Art Medium. Die Toten kommen, lassen sich in zarten Satznestern nieder und sind einige Absätze später schon wieder verschwunden. „Ich habe weniger Erinnerungen als das Gefühl, dass da etwas passiert ist, wonach ich immer wieder haschen möchte wie nach Schmetterlingen.“ Eigentlich sind die Geschichten, die Donatey bei diesem Haschen zwischen die Fingerspitzen bekommt, nicht mehr als Anekdoten: Sie handeln von seinem Großvater, der in Offenbach eine Jutefabrik besaß, bevor er aus Nazideutschland fliehen musste; von seiner Mutter Mathild, die dem Holocaust knapp entkam; von Donateys Regisseur Gaspard Nock, der erst gefeiert wurde und dann nur noch in Nürnberg inszenieren durfte, „wo Hitler so viel Erfolg gehabt hatte“. Schließlich von Donateys Freundin Seraphine, mit der er zwar die Wohnung teilt, die aber schimärenhaft bleibt.

Es ist der Erzählton, der die Anekdoten bindet. Auf den ersten Blick wirkt er leicht – doch ist Bondys Pointillismus auch die stilistische Konsequenz einer Generationen übergreifenden Familientragik, gewissermaßen die elegante Notlösung für eine lebenslange Ohnmacht. Donateys Mutter hatte nie über das Emigrationstrauma sprechen wollen. So wie alles, was sie dem Sohn sagte, gerade auf das verwies, worüber sie nicht sprach, so bekommt Bondys Kunst der Aussparung im Lauf der Lektüre eine immer bitterer werdende Note. „Am Fenster“ ist nicht nur charmant, sondern tief bewegend.

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