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Kultur: Schnäppchentage im Land des Lächelns

UNTERHALTUNGSTHEATER

Nein, das ist nicht die leichte Muse, wie wir sie kennen. Nein, this lady is a tramp, mit rauen Händen, schrillen Klamotten und höchst gewöhnungsbedüftigen Umgangsformen. Wenn die Neuköllner Oper Mischa Spolianskys und Marcellus Schiffers Zeitsatire „Es liegt in der Luft“ von 1928 ausgräbt und für Konsumenten von heute bearbeitet, bleibt vom Talmiglanz der goldenen Zwanziger wenig übrig. Das fängt schon bei der Musik an. Andrew Hannan hat die Songs aus der Revue komplett umarrangiert und jede Menge eigener Musik hinzugefügt. Und weil die von Hans-Peter Kirchberg geleiteten „Berliner Shopharmoniker“ ohne Klavier auskommen, entsteht zwischen solistischen Streichern, Klarinette und Schlagwerk ein herber, archaischer Großstadtsound mit Rap, Pop und viel atonal angeschrägter Neutönerei.

Das lässt auch in den beiden 1928er Hits „Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit“ und „Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin“ nie Melodieseligkeit aufkommen, hätte Mischa Spoliansky aber sicher gefallen. Auf Hannans kompromisslose Tonnachdichtung trifft absolut zu, was Oskar Bie 1928 über die Klangsprache der Partitur schrieb: „Wir haben eine Kabarettmusik gewonnen, die nicht nur des Tempos, sondern auch des Geistes der Zeit würdig ist.“

Mächtig zerzaust ist die leichte Muse auch aus der Besprechung mit Regisseurin Heidi Mottl und dem Dialogschreiber Andreas Bisowski herausgekommen. Auf der blumenübersäten Auslegware des Warenhauses, das Anja Jaeckel effektvoll in den Neuköllner Opernsaal gebaut hat, werden keine Warnschüsse abgegeben. Es herrscht Herzenskrieg im Land des Lächelns. Verkäuferin Luzie Baumgärtner (zauberhaft zickig wie immer: Hausdiva Silvia Bitschkowski) ist in der Hoffnung auf den ersehnten Abteilungsleiterposten Verkaufsleiter Klaus DéWeé (Henry Nandzig räumt als John Travolta der Grabbeltische ab) in der Umkleidekabine zu Diensten – bis Azubi Sabine (in jeder Hinsicht scharf: Dorothea Susanna Breil) ihr Lover und Job wegschnappt. Da knallt sie durch, reißt ihre dauergutmütige Kollegin Christa (Heike Schmitz muss man einfach lieb haben) mit – und die ohnehin schon bitterböse Satire kippt um in eine wilde Racheorgie, für die man allerschwärzesten Humor braucht, bis die Lovestory brutalreal ins angetäuschte Happyend strudelt.

Nostalgiker jedweder Couleur kriegen mächtig eins vors Schienbein in dieser Produktion. Wenn der Schmerz dann nachlässt, keimt aber die Überzeugung auf, dass bei so einem Zeitstück eine „originalgetreue“ Rekonstruktion einfach unehrlich gewesen wäre (weitere Aufführungen bis zum 20.April 2003).

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