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Kultur: Schneewittchen und die sieben Knöpfe

Von Braun zu Apple: Der Designer Dieter Rams in einer Ausstellung in Frankfurt am Main

Ein ideales Gerät für Technikmuffel: Es hat nur einen Knopf zum Ein- und Ausschalten. Ein Fernsehapparat der Firma Braun, gestaltet von Herbert Hirche 1958. So einfach ist Fernsehen, lautete die Botschaft. Aber der erste Eindruck täuscht. In einer oben liegenden Klappschublade finden sich sieben weitere Drehknöpfe für Sendersuche, Lautstärke, Helligkeit und anderes mehr. Die Firma Braun, bis in die siebziger Jahre führend in der Unterhaltungselektronik, versteckte diese Knöpfe, um das Erscheinungsbild auf das Wesentliche zu konzentrieren.

So arbeitete man bereits 1955 mit der Ulmer Hochschule für Gestaltung zusammen, aber auch mit Herbert Hirche, der vom legendären Bauhaus kam. Parallel dazu stellte man einen jungen Mann aus Wiesbaden ein, der sich als studierter Architekt und gelernter Tischler um die Bauten der Firma kümmern sollte.

Doch Dieter Rams überflügelte bald die arrivierten Gestalter. Heute ist der 78-Jährige der bekannteste deutsche und einer der wichtigsten europäischen Produktdesigner. Zudem ist Dieter Rams so aktuell wie lange nicht mehr. Form folgt wieder mehr der Funktion. So könnte die klare und nüchterne Gestaltung von Apple-Produkten wie iPhone oder iPod von Dieter Rams stammen. Diese Aktualität, verbunden mit einem Rückblick auf die Braun-Ära, wird jetzt im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst an rund 500 Objekten auf 1000 Quadratmeter Ausstellungsfläche sehr anschaulich vor Augen geführt; eine der besten Ausstellungen des Hauses seit langem.

Dass die Neigung der Gebrüder Braun zur durchdachten Produktgestaltung nicht vom Himmel fiel, zeigt das einleitende Kapitel zur Firmen- und Designhistorie. Das 1921 gegründete Unternehmen hatte seinen Firmensitz im Gallusviertel, mit einem Bau von Mart Stam, ganz im Stil von Ernst May. Die Gebrüder Braun waren also aufgeschlossen für Architektur und Design. Doch die Zusammenarbeit mit Bauhäuslern und Ulmer Hochschule war nur als anregende Übergangslösung gedacht, auch wenn es bei Braun anfangs keine Gestaltungsabteilung gab. „Es war eine Laborsituation, da es keinen Leithammel gab“, wie es der Kurator der Ausstellung, Klaus Klemp, beschreibt. Und Dieter Rams selbst erinnert sich an eine karge Büroausstattung: „Nebeneinander standen Hobelbank, Reißbrett und Drehbank. Mehr hatten wir nicht – außer Gips. Die ‚Formgestaltung', wie es damals hieß, war geboren.“

Dieter Rams lieferte sein Gesellenstück 1956, noch unter Mitarbeit des Ulmers Hans Gugelot. Der „Schneewittchensarg“, wie die Konkurrenz über die Kombination von Plattenspieler und Radio spottete, schlug damals ein wie eine Bombe. Das Gerät war nicht, wie üblich, mit Holz verkleidet, sondern mit weißem Stahlblech. Und da der erste Deckel aus Stahlblech klapperte, entwickelte man eine transparente Plexiglashaube. Heute ist das Gerät eine Design-Ikone.

Wie schnell Braun die Maschinenästhetik hinter sich ließ, zeigt der Vergleich zweier Saftzentrifugen von 1952 und 1957. Der keilartige Einfüllstutzen und das klobige Ventil wurden durch harmonisch aus dem Körper entwickelte, leicht abgerundete Formen abgelöst.

So entstand für alle Braun-Produkte ein einheitliches, unverkennbares Gestaltungsprinzip, vom Radio bis zum Rasierer, vom Tonband bis zum Taschenrechner. Damals war das ein Alleinstellungsmerkmal, denn solch ein konsequentes Design betrieben nur die Möbelfirma Thonet und der Autobauer Porsche. Und die Designer verhandelten noch auf Augenhöhe mit Technikern und Marketingabteilung. Da Dieter Rams bald eine Kapazität auf seinem Gebiet war und auch Möbel für die Firma Vitsoe entwarf, wagte niemand dem deutschen Design–Papst zu widersprechen. Aber nach vierzig Jahren verließ er 1995 die inzwischen in Kronberg/Taunus ansässige Firma, als das Marketing zusehends wichtiger wurde – eine Spätfolge des Verkaufs an einen US-Konzern 1967.

Die jetzige Schau ist eine späte Genugtuung für Rams, nachdem sein ebenso puristisches wie perfektionistisches Design schon zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 2002 vom Museum gewürdigt wurde. Doch die zweite Ehrung legt mehr Wert auf die frühen Jahre bei Braun und auf den Teamgedanken, den Rams pflegte. So ermöglicht die Schau neben einem Rück- auch einen Ausblick auf junge Designer. Die entdecken just wieder Rams’ eigenwillig kantige Formen. Tatsächlich sind seine Produkte ungemein praktisch, wie die seit 1962 produzierten Sessel „620“, die sich rasch zu einem Zweier- oder Dreiersofa zusammenschrauben lassen. Über 40 Jahre hinweg ein Möbel zu verkaufen, ist schon eine Leistung. Seit einiger Zeit übrigens stehen die Sessel auch im Bundeskanzleramt.

Schließlich steht der Besucher vor etlichen Produkten der Firma Apple, die als Miniversion von Braun-Produkten der fünfziger Jahre erscheinen. Ohnehin hätten einige ältere Produkte vom Design her heute wieder allerbeste Absatzchancen, wenn sie technisch aktualisiert würden. Und ein neuer Riesenfernseher von Loewe lockt ebenfalls mit nur einem einzigen Knopf. Nach der Fernbedienung mit ihren vielen Tasten sucht man aber lieber nicht.

Frankfurt am Main, Museum für Angewandte Kunst, bis 5. 9. Katalog 39 €.

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