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Kultur: Schnitte statt Schritte

Der Werbe-Coup ging nach hinten los.Giorgio Armani stahl bei der Eröffnung der 24.

Der Werbe-Coup ging nach hinten los.Giorgio Armani stahl bei der Eröffnung der 24.Hamburger Ballett-Tage John Neumeier die Show.Medien und hanseatische Haute Volée hatten nur eins im Blick: Schnitte statt Schritte.Armanis alta moda an den bildschönen Tänzerkörpern faszinierte mehr als Neumeiers Choreographie-Design der "Bernsteins Dances".Ein Präsent zum Doppel-Geburtstag: Freund Leonard Bernstein wäre in diesem Jahr 80 geworden.Das Hamburg Ballett ist 25.

Und technisch in bester Form.Neumeier hat sich mittlerweile die dritte Tänzer-Generation herangezogen.Ein Ergebnis kluger Aufbau-Arbeit in Kooperation mit seiner vor zwanzig Jahren gegründeten Ballett-Schule.Doch künstlerisch steckt der maître du ballet in der Sackgasse, huldigt dem puren Ästhetizismus.Auf die Hamburger Ballettomanen ist jedoch Verlaß: In unerschütterlicher Treue bejubeln sie den sterilen und geschmäcklerischen Leerlauf der jüngsten Hochglanz-Ballette wie "Syliva" und "Bernstein Dances".

Da packen die früheren Werke mit ganz anderem theatralischen Kaliber."Romeo und Julia", "Die Kameliendame" oder "Ein Sommernachtstraum" haben Herz und sogar Humor.Mahlers "Dritte Sinfonie" oder Strawinskys "Le Sacre" sind Geniestreiche im Vergleich zur Bernstein-Hommage: Das Bildnis des Musikers und bisexuellen Mannes am Klavier mutet an wie ein geschöntes Autogramm-Konterfei des Künstlers.Den Menschen Bernstein zu zeigen, seine Meinung über ihn riskiert Neumeier nicht.Bernsteins Musik erzähle alles, meint der Choreograph.Gibt sich damit zufrieden, das Hit-Medley von "Candide" bis "West Side Story" zu choreographieren.Natürlich gekonnt.Clean und langweilig.Aber das war Bernstein gerade nicht: ein Langweiler.Weder als Mann noch als Theatermusiker.Trotz ausgiebigen Sterngefunkels am Bühnenhimmel.Trotz der (bei Neumeier beliebten) Aufspaltung der Hauptfigur in verschiedene Identitäten: Eros (Ivan Urban), Pianist (Sebastian Knauer) und der (erstmals darstellerisch leicht überforderte) Solist Lloyd Riggins werden im Prolog aus dem Flügel, aus dem Geist der Musik "geboren".Keine dramatische Bereicherung.Nur eine deutliche "Petruschka"-Reminiszenz.

Interessanter für den Tanz-Fan sind da Neumeiers Erinnerungen an seine amerikanischen Wurzeln.Bernstein komponierte aus der Synthese von europäischer Musiktradition und den Einflüssen der Neuen Welt.Neumeier schuf seinen Stil aus der Verbindung von klassischem Ballett und Modern Dance.Die Bernstein-Bio gerät ihm als eine Art choreographischer Selbstbesinnung und Bilanz.Wellenbewegungen der Graham-Gruppen sind zu erkennen, fließende Limón-Figuren, sekundenkurze Zitate von Jazz-, Tap- und Gesellschafts-Tanz.Der rasante Stil-Mix gewinnt sogar Ironie.Etwa im Männer-Solo zum Song "Wrong Note Rap".Aber zumeist dominiert die Elegie.Ebenso unentschlossen wirkt das ganze Stück.John Neumeier entschied sich eben nicht zwischen Künstler-Biographie und Reflexion eigener Tanz-Entwicklung.Er wollte beides und scheiterte.In kühler Schönheit und edler Armani-Eleganz.

KLAUS WITZELING

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