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Kultur: Schön bunt hier - Doch die amerikanische Metropole lässt sich von ihren Gästen kaum beeindrucken

Bei der Berlin-Biennale vor genau einem Jahr war es das Lieblingsobjekt vieler Besucher: der im Kuppelsaal des ehemaligen Postfuhramts kreisende Ventilator von Olafur Eliasson. Der Beitrag des isländischen Künstlers glich einer Metapher für die frische Brise, den neuen Schwung in der Kunststadt Berlin.

Bei der Berlin-Biennale vor genau einem Jahr war es das Lieblingsobjekt vieler Besucher: der im Kuppelsaal des ehemaligen Postfuhramts kreisende Ventilator von Olafur Eliasson. Der Beitrag des isländischen Künstlers glich einer Metapher für die frische Brise, den neuen Schwung in der Kunststadt Berlin. Kein Wunder, dass er sich auch in der New Yorker Ausstellung "Children of Berlin" im Brooklyner Ausstellungszentrum P. S. 1. wiederfindet. Doch da hängt er schlaff von der Decke herab. Schon während der Eröffnung musste er vom Aufsichtspersonal angestoßen werden, damit er auf Touren kam.

Dabei hatte zur Vernissage der Ausstellung noch alles so vielversprechend ausgesehen. Dreihundert Künstler seien aus Berlin angereist, hieß es voller Stolz. Die Ausstellungsmacher hatten so großzügig eingeladen, dass im P. S. 1 zunächst fast nur deutsch gesprochen wurde. Die Gänge des ehemaligen Schulgebäudes summten vor freudiger Erregung und Geschäftigkeit. Und obwohl die Premierenpartylaune längst verflogen ist, wirkt die von Berlin nach New York transferierte Schau weiterhin trendy und weltoffen - total global, wie man heute sagt.

Vor allem das Timing der Ausstellung schien perfekt: pünktlich zum 10. Jahrestag des Mauerfalls, als wieder alle Welt auf Berlin schaute. Außerdem lieben New Yorker Berlin. Warum das so ist, weiß keiner so genau. Zum Teil mag dahinter eine alte Deutschland-Faszination stecken, die durch die Unvorstellbarkeit des Holocaust noch gesteigert wird. Am stärksten aber dürfte der Glaube wirken, dass mit Berlin als Hauptstadt irgendetwas noch nicht genauer zu definierendes Großes, "something big", passieren könnte. "Könnte!" - der Konjunktiv wird in New York nicht als Fragwürdigkeit ausgelegt, sondern als Möglichkeit und Potenzial. Deshalb schauen die New Yorker, wenn sie Berlin sagen, auch in einen Spiegel - und meinen sich selbst. Die Ausstellung im P. S. 1 versucht nun auf dem Feld der zeitgenössischen Kunst, das in der Kunsthauptstadt der Moderne als besonders attraktiv gilt, eine aktuelle, wohlinszenierte Orientierung zu bieten. Der Anspruch jedoch, den Zeitraum der letzten zehn Jahre abzudecken und alle kreativen Facetten Berlins zu zeigen, wird weit verfehlt. Gezeigt wird nur ein spezieller, schlaglichtartiger Ausschnitt, der gerade einmal die Wichtigkeiten des Jahres 1999 beleuchtet. Wie fahrig die Kuratoren hier vorgegangen sind, macht auch der Umstand deutlich, dass noch vier Tage vor der Eröffnung ein Künstler hinzugeladen wurde. Das hat sich auf das Erscheinungsbild der Ausstellung ausgewirkt, denn übermäßig beeindruckt ist in New York niemand von dem Ergebnis. Als nicht besonders neuartig, sondern als "von-der-Stange", als typischen "Euro-American look" klassifiziert Holland Cotter, der Kunstkritiker der "New York Times", die Schau.

Das ist nicht einmal negativ gemeint. Nach dem Desaster, das das Kuratorenteam - Klaus Biesenbach von den Berliner Kunst-Werken und Alanna Heiss vom P. S. 1 - mit ihrer letzten gemeinsamen Ausstellung "Generation Z" am selben Ort erlebten, haben sie mit diesem neuen Anlauf wieder künstlerischen Kredit gewonnen. Der "Times"-Kritiker beschreibt denn auch mit Sympathie einzelne Positionen: erwähnt die feministischen Skulpturen von Monica Bonvicini, die Arrangements von John Bock und den Performer Christoph Schlingensief. Cotter attestiert dieser Szene jedoch eine "erstaunlich engstirnige Homogenität - ... als ob eine größere multi-kulturelle Welt den Weg nach Berlin erst noch finden müsse ...". Sein Fazit trotz allem: "fun, snappy show".

Nachdem die Ereignisse um den Jahrestag des Mauerfalls wieder in den Hintergrund getreten sind, verschwindet auch die Ausstellung aus dem Bewusstsein der New Yorker. In der "Times", die jeden Freitag die wichtigsten Ausstellungen auflistet, wird sie seit der dritten Woche nicht mehr geführt. Auch im "New Yorker", dem wichtigsten Organ für Termine des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens, sucht man sie im Ausstellungsverzeichnis vergeblich. Die Stadtmagazine "Time Out" und "Village Voice" haben die Schau zwar noch gelistet, besprochen aber wurde sie nicht.

Ein Grund für die mäßige Resonanz mag sein, dass sich das P. S. 1 seit langem im Umbruch befindet. Durch Umbaumaßnahmen war das Haus über viele Jahre blockiert und nun, nach der Wiedereröffnung, läßt die bevorstehende Fusion mit dem Museum of Modern Art weiterhin viele Fragen offen. Jedenfalls verschaffte der Schulterschluss der Kunst-Werke Berlin mit dem P. S. 1 - nicht nur die Direktoren Heiss und Biesenbach sitzen im Vorstand der jeweils anderen Institution, auch der Berliner Bauunternehmer und Sammler Eberhard Mayntz hat Positionen in beiden Institutionen inne - noch nicht die nötige Durchschlagkraft, um ein Phänomen wie damals bei den Young British Artists zu erzeugen. Offenkundig ist Berlin auch noch nicht so weit. Das glaubt jedenfalls der Kunstkritiker Jerry Saltz. Berliner Künstler müssten vielleicht erst noch Erfahrungen von einer Qualität machen, wie die Londoner Kollegen durch wirtschaftliche Depression und den subventionsfeindlichen Thatcherismus sammelten. Damit weist er auf eine der größten Schwächen der Ausstellung hin. In ihr ist nichts von den realen Erfahrungen des Berliner Alltags zu spüren.

Die Ausstellung wirkt vor dem Hintergrund der weltpolitischen Ereignisse des letzten Jahrzehnts eigenartig fremd - als ob all das in einer anderen Stadt stattgefunden hätte. Womöglich macht man in Berlin gerade auch keine Erfahrungen oder kann diese nicht formulieren, weil alles zu schnell geht. Vielleicht versteckt sich hinter der bunten Harmlosigkeit einer Honey Suckle Company oder dem eilig Gebastelten eines Manfred Pernice auch eine Strategie, um die typische Unbestimmtheit Berlins zu überleben. Statt sich den Fragen nicht auszusetzen, werden schnell Oberflächen produziert, Fassaden eben, wie sie auch auf der Titelseite des Kataloges abgebildet sind. Nachsichtig verweist Saltz auf das Wahnsinnsunterfangen,überhaupt eine Stadt zu bauen. Deshalb glaubt er auch, dass es in der Ausstellung hauptsächlich um diesen Schwindel ginge, der durch eiliges Herstellen und Bauen, Konstruieren und Gestalten entstünde. Das Bild Berlins sei dadurch noch unklar. "Berlin kann eines Tages wirklich aufregend sein oder wie Houston werden", warnt er in Anspielung auf "den langweiligsten Ort der Welt". Bis dahin aber lieben die New Yorker die Schimäre Berlin und wünschen ihr das Beste.P. S. 1, New York, bis 2. 1.; Katalog 12 Mark.

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