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Kultur: Schön, dass ich Sie erreiche „Hold the Line“ im

Theater Aufbau Kreuzberg.

Diese Anrufe sind die Geißel unserer Zeit. Spätestens, wenn die zwangsfröhliche Stimme aus dem Hörer ihr Begrüßungs-Sätzchen „Schön, dass ich Sie erreiche!“ flötet, kann man wieder auflegen. Hier werden sich keine erfreulichen Perspektiven eröffnen, keine neuen Freundschaften anbahnen. Es klingelt bloß ein Callcenter an, um Beutelschneiderei zu betreiben. Okay, man muss natürlich immer beide Seiten betrachten. Auch der Anrufer ist ja irgendwo ein Mensch, mutmaßlich ein Niedriglöhner, der seine Penetrationsarbeit im unattraktiven Großraumbüro verrichtet und dabei den Druck der Abschlussquote im Genick spürt.

Um diesen geplagten Frondienstleister kreist das Stück „Hold the Line – Call Center Fantasien“, das die Regisseurin Gundula Weimann am Theater Aufbau Kreuzberg (tak) zusammen mit ihren drei Schauspielern entwickelt hat. Mansur Ajang, Max Löwenstein und Claudia Schwartz haben sich vorab in die Hotline-Hölle eines Callcenters geschmuggelt, um die Arbeitsbedingungen des gemeinen Telefonagenten hautnah zu erforschen. Das Ergebnis ist eine realistisch grundierte Farce, die vom Flexibilitäts-Terror der modernen Lohnabhängigkeitswelt erzählt.

Die Hausfrau und Sängerin Sandra Müller (Schwartz), der Pullunder-Pedant und Orchideen-Liebhaber Michael Kraft (Löwenstein) sowie der Speedtalking-erfahrene Hanswurst Ali Müller (Ajang) finden als Neulinge im Callcenter „Simply Better!“ zusammen. Ein orwellscher Apparat – 28 Etagen, 5000 Mitarbeiter, 6000 Anrufe täglich –, in dem sie unter permanenter Beobachtung stehen und mit Verkäuferweisheiten Marke Aurelius indoktriniert werden: „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst!“ Tatsächlich sollen die drei Novizen fernmündlich den kostenlosen Test einer Super-Zahnbürste an die Frau und den Mann bringen. Und dabei möglichst unauffällig die Bankverbindung ihrer Opfer herausbekommen. Besonders Ali hat eingangs Mühe mit dem behaupteten Expertentum und verliert den Gesprächsleitfaden („Mein Name ist Ali, ich bin eine Zahnbürste und möchte gratis bei Ihnen vorbeischauen“), aber dafür wird er bald zum Teamleiter ernannt. Als solcher drückt er rücksichtslos den Willen der unsichtbaren „Leitung“ durch und führt absurde Prämiensysteme ein. Was allerdings nicht lange währt. Der Teamleiterposten ist ein Schleudersitz.

„Hold the Line“ gewinnt seinen Witz aus der nur leichten Überzeichnung der herrschenden Verhältnisse. In einer furiosen Sequenz wird der Arbeitsplatz zum Multi-Service-Center umfunktioniert, wobei die Agenten im Minutentakt zwischen Reisebörse-Hotline, Waschmaschinenreparatur und katholischem Kummertelefon wechseln müssen. Was die Schauspieler sehr slapstickversiert bewältigen. Klar, die neoliberale Realität mit ihren Selbstvermarktungsbefehlen ist weniger komisch. Weswegen das Stück auch von Diskussionen und Workshops zum Thema Callcenter flankiert wird. Einzig schade, dass Regisseurin Weimann kein überzeugendes Ende gefunden hat. „Hold the Line“ gerät, ausgerechnet, zur Nummernrevue. Patrick Wildermann

wieder 9., 14. bis 16.12., 20 Uhr

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