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Kultur: Schön erwacht

Das glaubt ihm keiner: Otto Sander wird 65

Wie so viele große Komiker – ob Chaplin oder Loriot, ob Alec Guinness oder Curt Bois – sieht auch Otto Sander eher aus wie ein Melancholiker. Er ist keiner der fidelen Frontalunterhalter des TV-Zeitalters, obwohl er in den letzten Jahren auch ein wenig hinübergewachsen ist ins Revier der Medienfiguren. Aber auch wenn er in Bochum mal den Hauptmann von Köpenick spielt, ist er doch nie ein Berliner Boulevardier, nie ein Halbschwergewicht wie der selige Juhnke geworden. Otto S. spielt jederzeit in seiner eigenen Königsklasse: Schwer und leicht zugleich, ein großer Künstler, der im Vergleich zu noch strahlenderen, protagonistischeren Kollegen wie Bruno Ganz oder einst Ulrich Wildgruber lange Zeit (und in langer Schaubühnen-Zeit) immer wie der Kandidat für den Oscar in der besten Nebenrolle wirkte.

Vielleicht bedurfte es fürs Hauptrollenfach des texanischen Multimediagenies Robert Wilson, der den sonoren rotblonden Hannoveraner Ende der Siebziger in der rätselvollen Riesenschau „Death, Destruction & Detroit“ ganz an die Berliner Schaubühnen-Spitze trieb: als magischen Maschinenmann, als Tänzer und Träumer in einem theaterweltgeschichtlichen Räderwerk. Oder es war der Filmregisseur Wim Wenders, der vor knapp zwanzig Jahren Otto Sander an der Seite von Ganz – und schwebend über Peter Falk und Curt Bois – zum Zauberengel im „Himmel über Berlin“ machte. Ein bisschen melancholisch, wie Engel wohl sein mögen, und zart komisch, wie nur Menschen sind.

Diese irdisch überirdische Doppelbegabung hatte außer Peter Stein auch schon früh Klaus Michael Grüber erkannt, den Sander von allen Theaterregisseuren am meisten liebt – nicht nur, weil Grüber einst bei der Arbeit an den Berliner „Bakchen“ eine Stunde lang so leise wie geduldig über den Träumen des auf einer Probe eingeschlafenen Akteurs Otto Sander gewacht hat. Undenkbar bei anderen Regisseuren ...

Nie vergessen kann man, wie Sander einmal in Steins Inszenierung von Botho Strauß’ „Trilogie des Wiedersehens“ etwa zehn Minuten lang versucht hat, einem erkennbar Desinteressierten die Lektüre eines so vertrackten Kriminalromans zu erzählen, dass er über die verworrenen Handlungsfäden virtuos die eigentliche Geschichte vergaß. Und vor einigen Jahren hat er mit Anne Tismer in Zürich, wie bodenständig entrückt, eine späte Liebe gespielt, in Strauß’ „Kuss des Vergessens“: wieder ein unvergesslicher Triumph. – Heute wird Sander, dieser alte Junge, ganz plötzlich 65. Das wollen wir feiern und schnell vergessen! Weil’s ganz unglaublich ist.

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