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Kultur: Schöner leiden LESERJURY

SPECIAL Tom Hoopers „Les Misérables“.

Wellen, meterhoch, branden über das Deck des Segelschiffs, das Hunderte von Kettensträflinge in den Hafen einholen. Sie arbeiten gegen die Strömung und gegen das Eigengewicht des Schiffs, sie trotzen Nässe, Kälte und Sturm, und nur die Kräftigsten können überleben. Allen voran arbeitet Jean Valjean, der vor 19 Jahren ein Stück Brot gestohlen hat und demnächst freikommen soll. Sein Bewacher jedoch, der grimmige Inspektor Javert, hat geschworen, ihn sein Leben lang zu verfolgen. Am Ende fragt sich, wer hier wessen Gefangener ist.

„Les Misérables“, der von Victor Hugo 1862 veröffentlichte Roman über die Verelendung der Arbeiterklasse, ist die Basis dieser gleichnamigen bildgewaltigen Musical-Adaption des britischen Regisseurs Tom Hooper. Von ihm durfte man nach „The King’s Speech“ Großes erwarten, und tatsächlich wird man nicht enttäuscht: Zweieinhalb Stunden lang hält einen der Film in Bann.

Russell Crowe spielt mit unerbittlicher Miene und wohltönendem Bass den Finsterling Javert und Hugh Jackman gibt den dürren Exgefangenen. Dass er für die Rolle so kräftig abnehmen musste, geriet im Publicity-Hype um die zehn Kilo und eine Menge Haare leichtere Anne Hathaway ein wenig in Vergessenheit. Erbarmungswürdig ihre aus Not zur Prostituierten gewordene Arbeiterin Fantine, wenn sie im dünnen Kleidchen durch Kunstschnee stapft und Männerhände gierig nach ihr grapschen: „Wissen sie nicht, dass sie mit einer schlafen, die längst tot ist?“, singt sie, bevor sie ihr Leben aushaucht.

Dass der Tod, wenn er seine Opfer bei Jugend und Schönheit ereilt, nicht eines gewissen Charmes entbehrt, wussten die Künste schon immer. So wird auch in „Les Misérables“ höchst dekorativ gestorben. So ist, wenn sich die Studenten in der zweiten Hälfte des Films auf die Seite der Arbeiter schlagen, Fahnen schwenken, Barrikaden bauen und sich schon Waffen beschaffen, der Tod ebenfalls nicht weit. Und er verschont nicht einmal die Jüngsten: Das Straßenwaisenkind Gavroche muss dran glauben. Aber vorher passiert noch einiges!

Da schmeißen die kleinen Leute ihre Möbel zum Barrikadenbau aus den Fenstern, so dass es Sessel regnet. Da führen Helena Bonham Carter und Sacha Baron Cohen in einer Paargroteske vor, was unehrliche Kneipenwirte alles draufhaben, und da wogt der Busen ihrer Tochter Eponines (Samantha Barks) unter löchrigen Blüschen im vergeblichen Liebessehnen. Und natürlich ist da Jean Valjean, die Lichtgestalt, die nun Fantines Töchterchen Cosette erzieht – immer auf der Flucht vor Javerts Häschern. Etwas inzestuös scheint sein Interesse an der Ziehtochter zu sein, aber das Kind ist arglos und verzehrt sich seinerseits nach einem der Revolutionäre.

Man muss Musicals mögen mit ihren Chören, den gewaltigen Bildaufbauten – und überhaupt einem Überwältigungskino zugeneigt sein, um sich für „Les Misérables“ erwärmen zu können. Dann kann es einem ganz schön heiß werden ums Herz. Daniela Sannwald

9.2., 21 Uhr; 14.2., 20.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast)

Frank Münschke, 31, Student.

Wohnt in Prenzlauer Berg und hat Zeit nach der Masterarbeit.

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