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Kultur: Schräg und schön

KLASSIK

Nachtklang, „schmutziger“ Klang, Naturklang – so ließen sich die drei sehr unterschiedlichen Charakterstücke titulieren, die die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle am Freitag bereits zum zweiten Mal in der bis auf den letzten Platz gefüllten Berliner Philharmonie darboten. Dabei gebührte den Streichern, die das Konzert mit Béla Bartóks chromatisch-ahnungsvoller Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta von 1936 eröffneten, die Krone des Abends: ihnen und ihrer atemberaubenden Klanggestaltung.

Tasmin Little, Solistin in György Ligetis Violinkonzert, brachte (nicht nur!) in ihrer eigenen Kadenz das ganze wuchernde Fantasiereich des Stückes höchst wirksam hervor. Ligetis sagenhafter Klangfarben-Instinkt erfordert hier von den hohen Streichern durchwegs in Skordatur zu spielen, die Holzbläser wiederum nehmen kleine tönerne Okarinas zur Hand und blasen darauf präzis notierte, aber notwendigerweise schräge Töne. Eine unweigerliche – und durchaus intendierte – Komik bleibt dabei nicht aus. Darüberhinaus eröffnet die Integration dieser „naiven“ Instrumente in den mikrotonal differenzierten Orchesterklang ganz neue harmonische Welten, die Ligeti augenzwinkernd wohl nur für vorurteilsbeladene Ohren einst als „schmutzigen“ Klang bezeichnet hat.

Höhepunkt aber war Beethovens Sechste, die „Pastorale“. Simon Rattles illustrative Klangdramaturgie gleicht hier einem guten Tangotänzer, der seiner Partnerin niemals seinen Willen aufzwingt, sondern stets nur zu immer neuen Bewegungen einzuladen scheint. Die Eckpfosten des metrischen Gefüges werden höchstens angetippt, das Ganze fließt und lebt und webt. Ein rechtes Naturgewächs entsteht auf diese Weise, das man Beethoven gerne – trotz aller poetisierenden Sturm- und Drang-Elemente – als „reinen Naturklang“ abnehmen mochte. Ovationen.

Oliver Schneller

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