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Weltflüchtig. Boris Aljinovic in der Rolle des Elling. Foto: Oliver Fantitsch

© Oliver Fantitsch

Kultur: Schräge Vögel auf Jungfernflug

Grobian trifft Muttersöhnchen: „Elling“ im Renaissance-Theater

Zwei alleinstehende, „zum Verrücktwerden heterosexuelle“ Herren um die 40 beziehen gemeinsam eine Wohnung. Der eine schmal, zugeknöpft und pingelig, der andere ein Bär von einem Mann und mit entsprechenden Tischmanieren gesegnet. Der eine liebt Poesie, der andere Pornos. Seltsame Freunde. Den Anforderungen des Alltags scheinen sie nicht gewachsen zu sein, schon das erste Telefonklingeln in ihrer neuen Bleibe lässt sie zusammenzucken. Komische WG. Aber wie unkonventionell es bei den beiden wirklich zugeht, wird klar, als der kleine Mann zum Einzug ein Porträtfoto seiner Frau Mutter aufhängt und verkündet: „Ich dachte, sie würde das Zimmer noch schöner machen.“

Elling, der Muttersohn, und sein derber Kumpel Kjell Bjarne kennen sich aus der Psychiatrie. Da haben sie sich auch schon ein Zimmer geteilt, wo Kjell Bjarne gebannt den sexuellen Münchhausen-Geschichten seines fantasiebegabten Gefährten lauschte. Tatsächlich sind beide noch unberührt, und nun lässt der fürsorgliche Staat Norwegen sie im Rahmen einer Resozialisierungsmaßnahme erste Schritte in die Selbstständigkeit machen.

Elling und Kjell Bjarne sind die Helden einer Romanserie des norwegischen Schriftstellers Ingvar Ambjørnsen, die mit „Blutsbrüder“ begann und so liebevoll wie sanft spöttisch den Jungfernflug zweier schräger Vögel beschreibt. Der Film „Elling“ war vor zehn Jahren ein großer Erfolg, nicht nur in Norwegen. Regie führte Petter Næss, der auch an der Bühnenfassung der Ambjørnsen-Reihe mitgewirkt hat. Beide Adaptionen vertrauen ganz auf den skurrilen Buddy-Charme der Geschichte, was durchaus trägt, auch der Autor hatte ja ein Schelmenstück im Sinn, wenngleich eines mit melancholischem Unterton.

Regisseur Michael Bogdanov – vor langer Zeit Intendant des Hamburger Schauspielhauses, wo er unter anderem den „Hamlet“ mit Ulrich Tukur vorlegte – hat seinen „Elling“ bereits 2008 an den Kammerspielen der Hansestadt inszeniert. Die Produktion wurde dort zum Renner, jetzt ist sie als Gastspiel am Renaissance-Theater zu sehen. Peter Theiss spielt mit entwaffnender Gutmütigkeit den groben Kjell Bjarne, der nichts als Sex im Sinn hat und dem am Weihnachtsabend die Liebe in Gestalt der volltrunkenen, hochschwangeren Nachbarin Reidun Nordsletten (Imke Trommler) vor die Füße fällt.

Boris Aljinovic gibt den von Zartgefühl getragen Elling, den Weltfürchtigen, der seine lyrische Ader entdeckt und im Supermarkt Gedichte in Lebensmittelpackungen schmuggelt – der „Sauerkraut-Poet“. Zwei gute Schauspieler, eine sehr konventionelle Inszenierung. Bogdanov macht nichts falsch, er spult muntere Situationenfolgen ab, gern vor der Videotapete. Aber dass die Geschichte auch Zwischentöne hat, dass die Weltfurcht der beiden schief ins Leben gebauten Freunde nicht nur krachend komisch ist, sondern einen recht traurigen Hintergrund hat, dafür interessiert sich der Regisseur nicht.

Beim Publikum aber kommt der Abend so gut an, wie Ellings Anekdote über einen Puff in New Orleans bei Kjell Bjarne. Patrick Wildermann

Wieder am 28. August, 18 Uhr, und am 2. September, 20 Uhr.

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