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Kultur: Schräge Vögel

Rainer Moritz hat herrliche Geschenkideen Vor drei Wochen schrieb ich an dieser Stelle über den Dortmunder Professor Walter Krämer, was diesem wenig gefiel und weswegen ich heute über Erfreuliches schreiben möchte. Das Fest der Liebe naht schließlich, und da wollen wir dem Leser hilfreich sein.

Rainer Moritz hat

herrliche Geschenkideen

Vor drei Wochen schrieb ich an dieser Stelle über den Dortmunder Professor Walter Krämer, was diesem wenig gefiel und weswegen ich heute über Erfreuliches schreiben möchte. Das Fest der Liebe naht schließlich, und da wollen wir dem Leser hilfreich sein. Nein, keine Sorge, ich gebe keine Tipps, was Sie zwischen Ragout fin und Gans lesen sollen. Jeder weiß selbst, dass frühe Dunkelheit und harte Zimtsterne ideale Voraussetzungen dafür sind, sich mit Musils „Mann ohne Eigenschaften“, Jahnns „Perrudja“ oder Raabes „Odfeld“ zu befassen. Endlich Zeit für gute Bücher – wenn nur Oma nicht immer rufen würde.

Für mich selbst gilt das nicht. Ich bin beruflich das ganze Jahr genötigt, Lektürefron auf mich zu nehmen, und versuche mich davon zum Jahreswechsel zu befreien. Ehrlich gesagt, neige ich schon Wochen zuvor dazu, mein Leben zu vereinfachen und mir wunderbar schlichte Erlebnisse zu verschaffen. Dankenswerterweise bin ich nicht darauf angewiesen, die Taschenbuchregale der Buchhandlungen nach Seichtem und Leichtem abzugrasen. Man schickt mir geeignete Produkte auch unangefordert ins Haus und führt mir so Eindrücke zu, die mich mühelos ergötzen und gleichzeitig zum Nachdenken über den Zustand unserer geschundenen Gesellschaft bringen.

ArmbandFix & Grabstein-Neu

Vor kurzem etwa fand sich in meinem Briefkasten der 340 Seiten starke Katalog „Die moderne Hausfrau“, der mich (warum eigentlich mich?) auf „erlesene Dinge“ und „wunderschöne Geschenke“ zum Christfest hinwies. So zumindest versprach es mir das Vorwort von Frau Fröhlich (Kundenservice). Und sie hatte Recht: Ein Füllhorn unbekannter Objekte des Alltagslebens wurde über mir ausgeschüttet, und die Mischung aus Anpreisungstext und farbigen Abbildungen erinnerte mich daran, dass die ästhetischen Schönheiten der fünfziger und sechziger Jahre auch heute noch viele Anhängerinnen haben. Seit Tagen lese ich nur „Die moderne Hausfrau“, selbst Dieter Bohlen habe ich beiseite gelegt. Beispiele gefällig, liebe Leserin, zumal Sie sicher noch das eine oder andere Geschenk suchen?

Die moderne Hausfrau kauft „Waschmaschinen-Cover“, wobei es sich um Überzüge (auch in Königsblau) mit rundum laufenden Gummizug handelt, die das Bad „wohnlicher“ machen. Oder eine „Hunde-Snackbox“, die zu vermeiden hilft, dass Hundekekse Frauchens Manteltasche unappetitlich verbröseln. Für schlappe 4,95 Euro ist das Kunststoffteil zu haben: „Was begeistert Mensch und Tier gleichermaßen? Die Hunde-Snackbox!“ Auch die tapsige Hausfrau wird sofort fündig und freut sich unterm Tannenbaum über ein „Armband-Fix“ (3,95 Euro), das das störende Hantieren mit Armbandschließen verhindert, endlich.

Die derart beglückte Gemahlin lehnt sich dann, wenn alle Braten verzehrt sind, in den Sessel zurück und hüllt sich in die „Wohn-Kuscheldecke“, die nicht nur aus 86 Prozent Polyacryl besteht und sich zum Overall schließen lässt, sondern auch ein unüberbietbar hässliches Pflanzenmuster aufweist. Wer hingegen lieber ins Freie geht und an den hinter uns liegenden Trauertagen (Allerheiligen, Totensonntag) festgestellt hat, dass sich die Gedenksteine der Anverwandten in suboptimalem Zustand befinden, der greift vielleicht zu „Grabstein-Neu“, einem Sprühmittel (zwei Flaschen zusammen nur 8,25 Euro) „zur wirksamen Reinigung alter Grabsteine von Verschmutzungen aller Art“. Mühelos, so will es scheinen, ließen sich damit die unschönen Graffitis an Jim Morrisons Grab auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise beseitigen – doch das nur nebenbei, falls Sie Silvester an die Seine reisen.

Ostern naht

Und auch die Bücherfreundin unter den Hausfrauen wird fündig: Die Frau in der Kuscheldecke verspürt, nachdem sie dem Haustier Snacks verabreicht hat, unweigerlich das Bedürfnis zu lesen, sagen wir: Musil, Jahnn oder Raabe. Zur Absicherung dieser schwergewichtigen Klassiker empfiehlt unser Versender aus dem oberschwäbischen Bad Waldsee neben Lesezeichen mit Tiermotiven auch die aus Holzimitaten geformte Buchstütze „Bibliothek“ – „damit unsere Dichter und Denker im Bücherregal nicht zu ‚schrägen Vögeln’ werden“.

Sie merken nun, liebe Hausfrauen unter meinen Lesern, warum mich dieser Katalog so in Beschlag nimmt. Selten wurde mir in den vergangenen zwölf Monaten intensiveres Lektüreglück zuteil. Bis Heiligabend wird das allemal reichen, und ich hoffe darauf, dass die Firma „Baby Walz“, die dieses Werk ediert, im Frühjahr wieder an mich denkt – wenn das Osterfest naht und mich die belletristischen Frühjahrs-Neuerscheinungen bereits ein wenig ermüdet haben werden. Dann in der „Modernen Hausfrau“ blättern und auf das „Micro-Ei“ (5 Euro) stoßen, das es mir endlich erlaubt, Frühstückseier in der Mikrowelle zuzubereiten. Wenn ich eine besäße.

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