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Kultur: Schrei nach Liebe

Simon Rattle dirigiert „Porgy and Bess“.

Für solche Projekte muss man Simon Rattle einfach lieben: In Sachen „Porgy and Bess“ hat er sich nun wirklich nichts mehr zu beweisen, seit 1977 dirigiert er George Gershwins Meisterwerk, war bei der legendären Glyndebourne-Inszenierung dabei, hat eine CD-Einspielung der „american folk opera“ vorlegt. Doch wenn ihn Winrich Hopp anruft, der künstlerische Leiter des Musikfests, und das Stück für den diesjährigen Themenschwerpunkt vorschlägt, ist er sofort dabei. Und überredet seine Berliner Philharmoniker, sich auf das Abenteuer einzulassen. Denn weiter weg vom Kernrepertoire des Orchesters kann man sich nicht begeben als mit diesem Musikdrama, das Broadway und expressionistischen Operngestus, Jazz, Spiritual und Verismo in sich vereint.

Hart haben sie gearbeitet, die Philharmoniker, eine weitere Trainingseinheit absolviert in Sachen stilistischer Wandlungsfähigkeit und reaktionsschneller Sängerbegleitung. Und dabei erfahren müssen, wie schwer es ist, den Swing zu haben. Was man am Freitag erlebt, ist zunächst nur ein Weltklasseorchester, das erstmalig „Porgy and Bess“ spielt. Mit voller Konzentration, als wäre es zeitgenössische Musik. Und wie oft auch bei Uraufführungen klingt hier die Musik vor allem ausgezählt, ohne innere Beteiligung. Sie treffen alle Noten, aber nicht die Atmosphäre. Erst im zweiten Bild des 2. Aktes gelingt es Howard Haskin, die Instrumentalisten etwas locker zu machen. Haskin spielt den Sportin’ Life, sein Heldentenor ist so rein wie die Seele des skrupellosen Drogendealers, aber er ist ein echtes Bühnentier. Bei „It ain’t necessarily so“ reißt er sie alle mit, auf der Bühne wie im Saal. Von da an läuft es runder, am Beginn des Finalaktes kann sich Gershwins Klangzauber voll entfalten, bewegend singt der Voice of the Nation Chor aus Kapstadt seine Klagelieder. In den dramatischen Szenen aber bleibt die Klangbalance schwierig, das Orchester deckt die Solisten zu, der Chor reagiert mit stählernem Fortissimo.

Prächtig sind die Stimmen der Südamerikaner, die alle Nebenrollen aus den eigenen Reihen besetzen können, Willard White, seit 1977 stets Rattles Porgy, ist immer noch eine Idealbesetzung, Tichina Vaughn als Maria eine Autorität, Latonia Moore eine charaktervolle Bess. Am Ende großer Jubel und die beim Musicalpublikum obligatorischen standing ovations. Thank you, guys, den Versuch war’s wert. Frederik Hanssen

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