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Mörderpack. Markus Graf (Werbel), Ingo Hülsmann (Gunther), Maren Eggert (Kriemhild), Sven Lehmann (Hagen), Moritz Grove (Giselher), Felix Goeser (Volker). Foto: Marcus Lieberenz

© Marcus Lieberenz / bildbuehne.de

Kultur: Schrei und stirb

Das Kino hat dem Theater manches voraus. Zum Beispiel das Gedächtnis.

Das Kino hat dem Theater manches voraus. Zum Beispiel das Gedächtnis. Und die Möglichkeit, bewegte Bilder im Museum aufzubewahren und aufzuarbeiten. Nach „Metropolis“ ist jetzt auch Fritz Langs Stummfilmklassiker „Die Nibelungen“ frisch restauriert. Die weitgehend historische Version wird Ende April in der Deutschen Oper Berlin gezeigt. Gewaltiges Helden- und Actionkino der zwanziger Jahre, das noch fest in der Tradition des expressionistischen Theaters steht.

Auf der Bühne läuft die Entwicklung umgekehrt. Alte Texte werden nicht wiederhergestellt, sondern zerschnitten, übermalt, bis zur (Un-)Kenntlichkeit. Regisseure prüfen die Stoffe einer immer schneller entrückenden Vergangenheit auf ihre Masse und Dichte. Geht’s noch kürzer, kompakter? Wie lang reicht der Atem?

Am Deutschen Theater Berlin reicht er nicht für drei Stunden. Michael Thalheimer hetzt seine Mörderbande wie Schlachtvieh unter die Blutdusche. Der dicke rote Saft wird großflächig ausgekübelt, bis sich die ohnehin schiefe Ebene in eine schmierige Falle verwandelt. Der Nibelungen-Spielplatz von Bühnenbildner Olaf Altmann hebt und senkt sich, ein Burgtor, eine Schrottpresse. Die Recken tragen weder Waffen noch Rüstung, sie töten mit Blicken und Worten. Sie hocken stumpfsinnig an der Rampe, stehen versteinert herum, starren ins Nichts. In einer derart komprimierten Depressionsatmosphäre wird dann auch eine brutale Kurzfassung quälend lang. Friedrich Hebbels „deutsches Trauerspiel“, uraufgeführt 1861 in Weimar, zieht sich über drei jeweils schon abendfüllende Teilstücke. Das tut sich heute keiner mehr an. Das gibt es nur in der Oper, und auch nur bei Wagner, im „Ring“.

Es ist aber auch über die relative Kurzstrecke kaum zu ertragen, mit diesen hässlichen Typen. Ingo Hülsmanns König Gunther darf noch, als Zeichen seiner allerdings erschwindelten und ständig abnehmenden Macht, einen Pelzmantel tragen. Sven Lehmanns Hagen Tronje kommt in existenzialistischem Theaterschwarz daher. Warum aber Felix Goeser als Volker von Alzey und Peter Moltzen als Siegfried von der Kostümbildnerin Katrin Lea Tag Heavy-Metal-Langhaar-Perücken übergestülpt bekommen und Michael Schweighöfer, der bedauernswerte Markgraf Rüdeger, mit dickem nackten Schmerbauch vorgeführt wird, lässt sich nur mit denunziatorischer Absicht erklären. Die sind so. Die sind so treudoof. Siegfried vor allem. Null Verstand, nur Muskeln. Ein Primitivling, um den es nicht schade ist. Kriemhild liebt den Mythos mehr als den Mann. Die Männer hassen Siegfried nicht nur, weil er den Größten hat, sondern auch noch damit prahlt.

Dagegen wirkt der Tronjer wie ein kultivierter Intellektueller. Einer, der kühl analysiert und blitzschnell handelt. Lehmann zeigt die interessanteste Figur in diesem Menschenzoo von todessüchtigen Schreihälsen. Sie brüllen wie die Stiere, sie saufen Bier und Blut. Die Nibelungen als Hooligans der deutschen Klassik. Führungsspieler eines vom Abstieg bedrohten Männerclubs. Wie angenehm, wenn Moritz Grove – er spielt den zarten Giselher – wenigstens anfangs mal zögert und schweigt und einfach Angst hat. Nachher haben sie ihn umgedreht, da ist er mittendrin, wenn es Blut schüttet und die Drecksbande ihren blöden Spaß hat am Sterben.

Brüllen. Lachen. Selten hat man eine Aufführung gesehen, in der so viel und ausgiebig falsch gelacht wird. Alle sind gefangen in der Eindimensionalität. Auch die Frauen. Natali Seeligs Brunhild: schon äußerlich Siegfrieds Braut, ihm versprochen nach dem Mythos, und betrogen. Wildes, schreiendes Elend. Maren Eggert als Kriemhild mit langem, strähnigen Blondhaar motzt und trotzt. Ist das glühender Schmerz, ist das eiskalte Rache, später, an Etzels Hof? Und muss der Hunnenkönig von Markward Müller-Elmau unbedingt ein seniler alter Herr sein? Muss die Nibelungen-Mutter Ute von Gabriele Heinz immer am Rand stehen, die Einzige vielleicht, die noch eine menschliche Stimme hat in diesem abstrakten Inferno? Stirb schneller, Teil 5.

Thalheimer jagt Maschinen, keine Individuen. Killerautomaten, die so schnell wie möglich abgewrackt werden wollen. Sie haben kein Schicksal, sondern einen Chip im Leib, der auf Selbstzerstörung programmiert ist. Und deshalb sind diese „Nibelungen“ nicht einfach bloß eine misslungene Hebbel-Radikalisierung. Denn hier dröhnt eine Theatersprache und -ästhetik von Untergang und Todestrieb, die an sich selbst verzweifelt. Die laut und schwer auf ihr eigenes Verlöschen und Verstummen hinarbeitet.

Wieder am 1., 2., 25. und 29. April

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