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SCHREIB Waren: Das Leben von gestern

Andreas Schäfer über Bücher, die die Vergangenheit zurückholen

Siegfried Lenz tat es, Günter Grass natürlich oder Ralph Giordano: Sie alle schrieben über Ostpreußen. Aber so ein Buch, wie es der Übersetzer und Lyriker Klaus-Jürgen Liedtke jetzt in der Anderen Bibliothek des Eichborn Verlages veröffentlicht hat, gab es noch nicht. Ursprünglich suchte Liedtke nach Spuren seines Großvaters, der aus Kermuschienen stammen sollte. Er spürte einen Dorfpfarrer auf, und als dieser einen Nachmittag von der verschwundenen Welt erzählt hatte, sagte er: „Jetzt habe ich wirklich mein Dorf besucht.“ Das brachte Liedtke auf die Idee, die Geschichte des ganzen Ortes zu erzählen, sieben Höfe, damals eine Tagesfahrt von Königsberg entfernt – beziehungsweise erzählen zu lassen. Liedtke forschte und fand fast alle Nachfahren, aus deren Erinnerung er, nach 20-jähriger Arbeit, das beeindruckende Buch „Die versunkene Welt“ zusammengestellt hat. Mühseliger Bauern alltag, Streit unter Nachbarn, Klatsch über die Gutsbesitzer, Feste, Rituale, der immer gleiche Jahreskreis. Liedtke kommentiert nicht, er ordnet die Lebensgeschichten nur chronologisch. 1944 kamen dann die Russen. Die Bewohner flohen, im Pferdewagen oder zu Fuß. Viele blieben in Westdeutschland, wo Klaus-Jürgen Liedtke sie schließlich gefunden und zum Reden gebracht hat. Am Freitag, den 6.2., liest er um 20 Uhr im Museum der unerhörten Dinge in der Schöneberger Crellestraße 5–6.

Ebenfalls von Fluchten handelt das Buch „Zwischen Emigration und KZ“, für das Carmen Renate Köper fünf Menschen zu ihrem Leben während der Nazizeit befragt hat. Alle fünf wurden verfolgt und haben überlebt. Der Wiener Hermann Langbein kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg, kam später ins Konzentrationslager und sagte nach dem Krieg als Zeuge im Auschwitzprozess aus. Der Schauspieler Karl Paryla fand erst im Züricher Theater der Emigranten Zuflucht, später am Scala-Theater in der sowjetischen Zone von Wien, bevor er schließlich in die DDR ging. Von diesen und anderen Schicksalen berichtet Köper am Montag, den 9.2., ab 19 Uhr im Jüdischen Museum in der Lindenstraße 9–14.

Ingeborg-Bachmann-Preisträger Tilman Rammstedt, der im letzten Jahr mit einem pointenreichen Auszug aus dem Roman „Der Kaiser von China“ gewann, liest in dieser Woche gleich zwei Mal in Berlin. Am Donnerstag, den 5.2., ab 21.15 Uhr in der Schaubühne am Lehniner Platz (Kurfürstendamm 153) und am Sonntag um 17 Uhr in der Evangelischen Kirchengemeinde in Berlin-Nordend, Schönhauser Straße 32. Das Buch handelt von Keith Stapperpfennig, der, um nicht als Lügner dazustehen, mit dem Lügen nicht mehr aufhören kann und eine tolldreiste Reise durch ein erfundenes China aus dem Hut zaubert.

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