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SCHREIB Waren: Griechischer Wein

Am Anfang der modernen Literatur in Deutschland steht ein Integrationsverweigerer. Goethes Werther mochte sich mit den Maximen der damaligen Mehrheitsgesellschaft nicht befreunden – weder mit deren Liebesverständnis noch mit ihrem Lebenskonzept.

Am Anfang der modernen Literatur in Deutschland steht ein Integrationsverweigerer. Goethes Werther mochte sich mit den Maximen der damaligen Mehrheitsgesellschaft nicht befreunden – weder mit deren Liebesverständnis noch mit ihrem Lebenskonzept. Nicht mal der herrschenden Grammatik und Rechtschreibung wollte er folgen. Seine Regelverstöße gelten mittlerweile als Kunst, und bis heute interessiert sich die Mehrheitsgesellschaft mehr für ihn als für seinen Gegenspieler Albert, den Vertreter der Mehrheitsgesellschaft, der sich Wohl und Wehe haushälterisch einteilt. Warum finden „Werther“-Leser so wenig Gefallen an einer Figur, die sich als gesellschaftliches Erfolgsmodell durchgesetzt hat? Warum reizen die Alberts dieser Welt weniger als die Werthers, Integrationsverweigerer mehr als Integrierte?

Dass auch diese Regel ihre Ausnahme hat, zeigt eine Familiengeschichte, die gleichzeitig die Geschichte eines Gasthauses ist. „Der Grieche“ in Karlsruhe war über dreißig Jahre lang privates Wohnzimmer und politische Bühne. Generalbundesanwalt Siegfried Buback aß dort, während Grüppchen der Grünen an Protestaktionen und Parteigründung feilten. Zuhälter aus dem Rotlichtmilieu trafen auf Universitätsprofessoren, bis die griechisch-deutschen Wirtsleute irgendwann vor der „Döner-Welle“ kapitulierten. Ihr Sohn studierte Germanistik, Politikwissenschaft und Soziologie, arbeitet mittlerweile als Journalist für die „Süddeutsche Zeitung“ und hat ein Stück ihrer, seiner und unserer Geschichte aufgeschrieben. Am nächsten Montag stellt Alexandros Stefanidis sein Buch „Beim Griechen“ im BKA-Theater vor (Mehringdamm 34, 20 Uhr).

Um kulturelle Unterschiede und Konflikte, Integrationsversuche und ihr mögliches Scheitern geht es auch in den Romanen von Emine Sevgi Özdamar und Michael Roes. Özdamar erzählt in ihrer Romantrilogie „Sonne auf halbem Weg“ von einem langjährigen Migrationsprozess zwischen Istanbul und Berlin, Roes über die schwierige Freundschaft zwischen dem Algerier Jannis und dem Deutschen Matthias. Heute Abend lesen beide in der Stiftung „Brandenburger Tor“ aus ihren Büchern und sprechen mit den Juristen Jutta Limbach und Christoph von Planta über Liebe, Migration und Recht (Pariser Platz 7, 20 Uhr, Anmeldung unter Tel. 226 330 30).

Um „Global Literature“ schließlich geht es bei Rawi Hage, der auf Zypern und in Beirut aufwuchs und in Montreal lebt. Am Donnerstag liest er um 20 Uhr im LCB (Am Sandwerder 5) aus seinem neuen Roman „Kakerlake“. Der spielt in Montreal und handelt von einem libanesischen Kleinkriminellen, der überzeugt ist, halb Kakerlake, halb Mensch zu sein, weswegen ihn die Mehrheitsgesellschaft zu einer Therapie verpflichtet. Das wiederum klingt eher nach einer neuen Version von Kafkas „Verwandlung“ als nach einer braven Albert-Geschichte.

Thomas Wegmann

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