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SCHREIB Waren: Kleist per Mail

Diese Kolumne beginnt mit einem Ausfall. Doch nicht der Kolumnist fällt aus, sondern der Literaturbetrieb.

Diese Kolumne beginnt mit einem Ausfall. Doch nicht der Kolumnist fällt aus, sondern der Literaturbetrieb. Und auch der fällt nicht wirklich aus, sondern verlagert nur seinen Schwerpunkt. Nach Frankfurt nämlich, wie jedes Jahr um diese Zeit. Weswegen es in diesen Tagen kaum Veranstaltungen in Berlin gibt. Das ist insofern schön, als man nun selbst lesen kann, was einem niemand vorliest. Zum Beispiel eine alte Zeitung. Genauer: die Berliner Abendblätter, die von Heinrich von Kleist herausgegeben wurden und nur ein halbes Jahr existierten. Zu ihrem 200-jährigen Jubiläum verschicken zwei Würzburger Literaturwissenschaftler sie im Rhythmus der Erstpublikation, also täglich außer sonntags. Wenn man sich unter https://lists.uni-wuerzburg.de/ mailman/listinfo/berliner.abendblaetter anmeldet, erhält man so zwischen dem 1. 10. 2010 und dem 30. 3. 2011 eine 200 Jahre alte Zeitung, elektronisch und kostenlos.

Es war und ist dies ein bemerkenswertes Blatt, weil es erstmals Polizeiberichte über Raub, Mord und Diebstahl, aber auch Meldungen über verdorbene Waren, unrichtige Gewichte und Waagen druckte. Sensationelles steht da neben Bagatellen. Bemerkenswert aber auch, weil einige literarische Texte Kleists erstmals in den Abendblättern und damit zwischen Sportnachrichten und populärwissenschaftlichen Stücken erschienen. Und bemerkenswert schließlich, weil Tagesjournalismus und literarische Produktion eine bis dahin ungekannte Verbindung eingingen. Von all dem kann man sich nun selbst ein Bild machen und bei der Lektüre der teils kuriosen, teils ambitionierten Texte fragen: Ist das Kunst, oder kann das weg?

Thomas Wegmannn Autor

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