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SCHREIB Waren: Mensch, altes Haus

Seit einigen Jahren gehört es zu den Gewohnheiten aufgeschlossener Metropolenbewohner, die neue Wohnung beim Einzug atmosphärisch zu neutralisieren. Die einen lassen vor dem Einzug erst einmal einen Feng-Shui Meister kommen, um das feinstoffliche Erbe des Vorbewohners aus den Räumen zu ritualisieren.

Seit einigen Jahren gehört es zu den Gewohnheiten aufgeschlossener Metropolenbewohner, die neue Wohnung beim Einzug atmosphärisch zu neutralisieren. Die einen lassen vor dem Einzug erst einmal einen Feng-Shui Meister kommen, um das feinstoffliche Erbe des Vorbewohners aus den Räumen zu ritualisieren. Die anderen, hört man mitunter, schreiten die Wände der leeren Zimmer einfach nur mit einem vor sich hin qualmenden Lavendelstrauch ab. Das würde, sagen sie, genauso effektiv möglicherweise vorhandene schlechte Energie aus den Ecken wehen. Freilich ist nie klar, ob diese Übungen tatsächlich Spuren aus der Vergangenheit eines Raumes eliminieren oder nur die Vorstellung des Neubewohners besänftigen.

Häuser sind (oft zumindest) alt. Das ist das Beruhigende. Und das Unheimliche. Den Geist eines Hauses nicht zu vertreiben, sondern ihn einzufangen, das gelang der Berliner Schriftstellerin Jenny Erpenbeck sehr eindrücklich in ihrem Roman „Heimsuchung“. Es ist die Geschichte eines Hauses an einem märkischen See, erzählt anhand seiner Bewohner. Kaiserreich, Weimarer Republik. Nazizeit. Weltkrieg. DDR. Wende und Nachwende.

Das gespenstischste Kapitel von „Heimsuchung“ ist das letzte, in dem das Haus „nach den heute geltenden gesetzlichen Bestimmungen“ abgerissen wird. Jenny Erpenbeck beschreibt diesen Abriss ohne jede Emotion, als rein technischen Ablauf – aber an jedem Stein haftet die Erfahrung eines ganzen Jahrhunderts. Am Sonnabend liest die Autorin gemeinsam mit dem palästinensischen Israeli Ayman Sikseck in den Sophiensälen (Sophienstraße 18, 19 Uhr).

Von Berliner Häusern, die nicht zur Ruhe kommen, in denen es also spukt, handeln die Geschichten, die Sarah Khan in ihrem Band „Gespenster von Berlin“ versammelt hat. Das eine Haus zieht scheinbar magisch Selbstmörder an, im anderen wollen mehrere Bewohner Gestalten in langen Unterhosen gesehen haben, die sogar durch Wände gehen. Sarah Khan hat diese Spukberichte nicht nur gesammelt, sondern auch die Geschichte der entsprechenden Häuser in Archiven recherchiert.

Sie fand heraus, dass dort in vielen Fällen Juden gewohnt hatten, die während der Zeit des Nationalsozialismus in Konzentrationslagern umgebracht worden waren. Nun suchen sie – so Khans These – ihre alten Wohnstätten heim, weil sie keine eigene Grabstätte haben (am heutigen Montag im Literaturforum im Brechthaus, Chausseestraße 125, 20 Uhr).

Ebenfalls eine Art moderne Gespenstergeschichte hat Christiane Neudecker letztes Jahr beim Klagenfurter Literaturwettbewerb für den Ingeborg-BachmannPreis gelesen. Sie ist auch in ihrem kürzlich erschienen Erzählungsband „Das siamesische Klavier“ enthalten. Die Namen der Autoren, die diesen Juni an den Wörthersee fahren, geistern im Moment noch durch die Gerüchteküche, werden aber am Donnerstag am Rande einer Podiumsdiskussion über die Kunst des Übersetzens in der Literaturwerkstatt bekannt gegeben (Knaackstraße 97, 20 Uhr).

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