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SCHREIB Waren: Osteuropa, du hast es besser

Steffen Richter sieht Licht am Ende des Kontinents

Die Behauptung, die Russen kämen, beunruhigt heute kaum noch. Vielleicht, weil das mit den Russen längst nicht alles ist. Die Rumänen kommen nämlich auch. Und die Bulgaren. Und die Tschechen und Polen. Das Alte Europa ist müde, kulturelle Innovationen kommen immer öfter aus dem Osten. So jugendfrisch wie Amerika vor hundert Jahren wirkt dieses Neue Europa. Also: ex oriente lux?

Nehmen wir, aus aktuellem Anlass, zunächst die Rumänen. Die kommen gewaltig. In Bayern kann man nach dem 1:0 gegen Steaua Bukarest davon dasselbe Klagelied singen wie in Wolfsburg (1:0 gegen Rapid Bukarest) und Hamburg (0:0 gegen den AFC Unirea). Und am Wannsee heißt es passend: Rumänien rockt. Vier junge Rumänen zeigen uns den literarischen Osten, wie wir ihn mittlerweile zu sehen gelernt haben: als Mischung aus Archaismus und Postkommunismus, aus Realismus und Groteske – kurz, als Wundertüte. In Filip Florians Roman „Kleine Finger“ wird bei archäologischen Ausgrabungen in den Karpaten ein Massengrab entdeckt – das Verbrechen liegt entweder Jahrhunderte zurück oder wurde von Kommunisten begangen. Die Wahrheit ist nicht einfach, sie spricht mit vielen Stimmen, besitzt mehrere (Erzähl-)Schichten und eine komplexe Syntax. In Dan Lungus „Hühnerparadies“ geht es um den Mikrokosmos einer Straße in der rumänischen Provinz, auf der sich der Übergang des Landes zwischen finsterer Vergangenheit und unsicherer Zukunft abspielt. Es ist der typische wilde Osten, der am 24. 9. (20 Uhr) im Literarischen Colloquium regiert (Am Sandwerder 5, Zehlendorf).

Den vermutlich etwas milderen Osten gibt es bei den Balkanischen Alphabeten. Diesmal ist Lyrik aus Bulgarien und somit das kyrillische Alphabet an der Reihe. Ob es sich in kyrillischer Schrift anders dichtet als in lateinischer, welche Themen und Formen Bulgarien bewegen, dürfte man am 26. 9. (20 Uhr) im Literaturhaus (Fasanenstr. 23, Wilmersdorf) erfahren. Dann präsentieren die (Nach-)Dichter Uwe Kolbe und Hans Thill gemeinsam mit ihren Kollegen Galina Nikolova, Plamen Dojnov und Boiko Lambovski den Band „Balkanische Alphabete – Bulgarien“ (Verlag Wunderhorn).

Doch zurück zu den Russen. Dass sie kommen, ist nur die halbe Wahrheit – sie sind längst da. Merle Hilbk war zumindest verblüfft, als sie zufällig auf eine komplette russische Infrastruktur vom CD-Shop über Singlebörsen und Spirituosenhändler bis zum Wellness-Center stieß. Ist das nun Subkultur oder Paralleluniversum? Angeblich 3,5 Millionen Menschen sind in den 1990ern aus Russland in die Bundesrepublik gekommen. Ihren Weg nennt Hilbk „Die Chaussee der Enthusiasten“ – genau wie ihr Buch (Aufbau), das sie am 27.9. (21 Uhr) im Roten Salon der Volksbühne vorstellt (Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte).

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