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SCHREIB Waren: Recht und billig

Steffen Richter über Volksentscheide und Volksküchen

Es gibt ihn also doch: Berlins gesunden Sinn fürs Faktische. Das Erregungspotenzial der Tempelhof-Frage war offenbar nur gespielt. Berlin hatte längst begriffen, was die Kampagnen überdeckten: Keiner will den Flughafen abreißen, niemand kommt auf die Idee, Geschichte auszulöschen – wie das gelegentlich beim Abriss ostdeutscher Architektur geschieht.

Also: Das 1230 Meter lange Gebäude bleibt als historisches Abenteuerareal unangetastet. Man wird in Tempelhof weiterhin Filme in Nazikulissen drehen können (wie zuletzt den Stauffenberg-Film „Valkyrie“ mit Tom Cruise). Und natürlich bleibt der Flughafen Romanschauplatz – gerade jetzt, zum 60. Jahrestag der Luftbrücke. Wer die Mechanik des Buchmarkts und das gesteigerte Medieninteresse bei Jubiläen kennt, den wird es nicht wundern: Natürlich gibt es zum Luftbrücken-Jubiläum, just im Monat des Volksentscheids, einen aktuellen Tempelhof-Roman. Er heißt Hungerkralle (Rotbuch) und spielt in der Heldenzeit des Flughafens: 1948, der Kalte Krieg hat begonnen. Die Westmächte bereiten die Währungsreform vor, die sowjetische Besatzung reagiert mit der Berlin-Blockade, die Amerikaner eröffnen die Luftbrücke. Im Mittelpunkt steht ein ehemaliger Hausdetektiv des „Adlon“, der für die US-Truppen in Tempelhof dolmetscht und bemerkt, dass sich alte Nazis und Sowjets gleichermaßen für interne Informationen interessieren … Sicher, das klingt nach einem recht konventionellen Stück Genre-Literatur. Doch – und das ist das Besondere – der Autor Jürgen Ebertowski stellt seinen Roman am 30.4. (19 Uhr 30) in der „Offizierslounge“ des Air Service Berlin im Flughafen Tempelhof vor. Man könnte sich das Streitobjekt also mal aus der Nähe ansehen – und zwar bei freiem Eintritt.

Apropos: Was kostet eigentlich so ein Volksentscheid? Mehr als zwei Millionen Euro, war zu lesen. Und der Flughafen soll jährlich etwa acht bis zehn Millionen Euro Defizit erwirtschaften. Egal, ob der Bund oder die Stadt diese Kosten trägt – es sind beeindruckende Zahlen. Gerade für Berlin, das sich so gern in der Rolle des sexy Aschenputtel sieht. Die Berliner Klammheit ist derart notorisch, dass man den respektablen Erfolg des neuen Stadtführers Berlin für Arme (Eichborn Berlin) als selbstverständlich quittiert. Darin erklären der Ostberliner Schriftsteller Bernd Wagner und seine Tochter Luise Wagner, wie man preiswert durch die Stadt kommt: Essen, was die Natur an Beeren und Kräutern so bietet – oder auf Vernissagen und Botschaftsempfängen. Regenschirm aus dem Fundbüro, Zeitungen im Probeabo, Theaterkarten für ganz hinten und beim letzten Klingeln auf freie teure Plätze vorrücken. Die Botschaft lautet: Auch bei knapper Kasse ist Stil möglich. Weitere Anregungen kann man sich im Gespräch mit den Autoren holen – entweder am 4. 5. (16 Uhr) im Kulturpark Neukladow (Neukladower Allee 8–12, Spandau) oder am 5. 5. (20 Uhr) im Literatursalon am Kollwitzplatz im Theater O. N. (Kollwitzstraße 53, Prenzlauer Berg). Doch ist Berlin bekanntlich nicht nur arm, sondern auch billig. Deswegen müssten sich die universalen Tipps der Wagners in München oder Hamburg noch viel besser verkaufen. Dort haben sie es richtig nötig.

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