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SCHREIB Waren: Was man Leben nennt

Der sogenannte Familienroman. Obwohl als von gestern belächelt und totgesagt, steht er mit jeder Buchsaison doch immer wieder quicklebendig da und bringt – wie gerade im Fall „Freiheit“ von Jonathan Franzen – Kritiker in Erklärungsnot.

Der sogenannte Familienroman. Obwohl als von gestern belächelt und totgesagt, steht er mit jeder Buchsaison doch immer wieder quicklebendig da und bringt – wie gerade im Fall „Freiheit“ von Jonathan Franzen – Kritiker in Erklärungsnot. Ein zutiefst konventionelles Familienroman-Setting mit hysterischer Mutter, schwachem Vater und aufmüpfigem Sohn. Absoluter Durchschnitt. Und trotzdem so gut? Wie geht das? Liegt es nur an Franzens toller Figurenzeichnung? An seiner Gabe, über Details und Dialoge das, was man das Leben nennt, so plastisch werden zu lassen, dass die Figuren einem beim Lesen quasi gegenübersitzen? Das allein kann es nicht sein, Franzen entwirft ein breit angelegtes Porträt der amerikanischen Gesellschaft. Außerdem hat er einen selbstreferenziellen Sprengsatz in seiner Konstruktion versteckt: Eines der Familienmitglieder arbeitet an einer Anti-Zeugungs-Kampagne. Im Sinne der Weltrettung wird es also so etwas wie Familien bald nicht mehr geben.

Den ungewöhnlichsten Familienroman deutscher Sprache legt diesen Herbst der Schweizer Alain Claude Sulzer mit „Zur falschen Zeit“ vor. Ein junger Mann recherchiert, ausgehend von einer Fotografie, das Leben seines toten Vaters. Es stellt sich heraus, dass der Vater homosexuell war, sich aber zur Familiengründung gezwungen sah. Kurz nach der Geburt seines Sohnes nahm er sich zusammen mit seinem Geliebten das Leben. Den Sohn hätte es also, wenn sein Vater nach seiner Neigung gelebt hätte, gar nicht gegeben. Je klarer sich der Erzähler seiner Familiengeschichte wird, desto mehr zeigt sich, dass die Familie gar nicht existiert hat, dass sie ein Phantom war (Dienstag, 14.9., Literaturforum im Brecht Haus, 20 Uhr).

Bekannter geht es dagegen im Roman „Ins Freie“ des Amerikaners Joshua Ferris zu. Mann verlässt Frau und Kind, das ist nicht erst seit Peter Handke ein Klassiker des Familienauflösungsromans. Statt der großen erhofften Freiheit erwarten den Mann im „besten Alter“ logischerweise vor allem die eigenen Abgründe (Donnerstag, 16.9., Haus der Kulturen der Welt, 19 Uhr). Im schon 1979 erschienenen Roman „Bruder Zwilling“ von Nuruddin Farah, der im Somalia der siebziger Jahre spielt, macht sich der Arzt Loyaan auf die Suche nach den Hintergründen seines plötzlich verstorbenen Bruders Soyaan. Dabei zeigt sich, dass der Politiker nicht nur einen Umsturz plante – er hatte auch eine zweite Familie gegründet, von der niemand etwas wusste (Sonntag, 19.9., Deutsches Theater, 20 Uhr).

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