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SCHREIB Waren: Das Grobe und das Feine

Andreas Schäfer über Sülze, Mastdarm und Schlachteplatte.

Man kürte ihn kürzlich sogar zum legitimen Erben von Philip Roth, was die Beschreibung eines eher ungewöhnlichen Sexualaktes betrifft. Wie in Roths Klassiker „Portnoys Beschwerden“ kommen auch in Patrick Hofmanns Roman „Die letzte Sau“ Lebensmittel im Liebesspiel zum Einsatz. Bei Roth ist es eine rohe Leber, und auch bei Hofmann sind die Genussmittel, derer sich die beiden Frauen bedienen, tierischen Ursprungs. Was auf der Hand liegt, denn Hofmann beschreibt in seinem gelungenen Debüt einen Schlachttag, bei dem ein Schwein in seine Einzelteile zerlegt wird. Es liegt, hängt, lagert oder sülzt am Ende dieses langen Tages also einiges im Hause der Familie Schlegel griffbereit herum.

Auch abgesehen von dieser Stelle (für Sucher: Seite 178 ff.) ist „Die letzte Sau“ ein ungewöhnliches Buch, weil Hofmann es versteht, das Grobe und das Feine zu mischen und mit den Bereichen Innen und Außen zu spielen, sodass man nach der Lektüre nicht mehr genau weiß, wo eigentlich oben und unten ist. Verwundert stellt man fest: Alles bleibt beim Alten, aber nichts ist mehr, wie es war.

Grob und wuchtig ist an diesem Roman nicht nur das Setting. Wir befinden uns im Jahr 1992 in dem Dörfchen Muckau südlich von Leipzig am Rand eines Tagebaugebietes. Bevor die Ortschaft wegen der sich immer näher heranwühlenden Schaufelräder der Braunkohleindustrie evakuiert werden muss, trifft sich die Familie Schlegel zur Schlachtung der letzten Sau auf dem Familienhof: Großeltern, Töchter mit Ehemännern, Enkel, die allein oder in Begleitung aus Berlin angereist sind. Grob bäuerlich und direkt ist auch der über Generationen gegerbte Umgangston. Hier wird gewissermaßen wie mit erdverkrustet schrundiger Zunge gesprochen.

Fein und präzise sind dagegen Hofmanns Sätze, die das Enge und muffig Schmuddelige des Hofes und den ritualisierten Vorgang des Schlachtens in sinnlicher Detailpracht und allen nur erdenklichen Geruchsnuancen heraufbeschwören. Fein ist auch die Schlachterin Diana, die zur Überraschung aller am Morgen auftaucht, obwohl ihr berufsbedingt auch das Derbe nicht fremd ist. Doch ihre Ausstrahlung hat etwas Magisches. Diana ist Verführerin und Schamanin zugleich, schlägt alle in ihren Bann und lässt sie – fast gegen ihren Willen – nicht nur über Verschwiegenes sprechen (Stasi), Schmerzhaftes erinnern (Krieg), sondern auch seltsam-schöne Dinge tun (s.o.). Wie ihr das gelingt, kann man am Montag, dem 11.1. im Kaffee Burger (Torstraße 60, Mitte) erfahren, wo Patrick Hofmann um 21 Uhr aus seinem Buch liest und Musik auflegt.

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