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SCHREIB Waren: Der Kapitalismus, der alte Schlawiner

Wer glaubt, die Schuldenmacherei, unter der gegenwärtig ganze Staaten zusammenzubrechen drohen, sei neueren Datums, irrt. Jahrtausendelang zieht sich das ganze Elend nun schon hin – dies zeigt der Anthropologe David Graeber in seiner hochgelobten kapitalismuskritischen Studie „Schulden.

Wer glaubt, die Schuldenmacherei, unter der gegenwärtig ganze Staaten zusammenzubrechen drohen, sei neueren Datums, irrt. Jahrtausendelang zieht sich das ganze Elend nun schon hin – dies zeigt der Anthropologe David Graeber in seiner hochgelobten kapitalismuskritischen Studie „Schulden. Die ersten 5000 Jahre“. Graeber, Anarchist, Mitgründer und Theoretiker der Occupy-Bewegung, wirft einen neuen Blick auf die Verschuldungsproblematik – und im Gegensatz zu den diskursbeherrschenden Ökonomen geht er nicht davon aus, dass Schulden zurückbezahlt werden müssen. Im Gegenteil: Es sind immer nur einige, aber eben nicht alle, die in die Pflicht genommen werden, Geliehenes zurückzuerstatten. Das Kredit(un)wesen wird von Graeber radikal als moralisches Prinzip begriffen, das seit seinen Anfängen einzig der Machtausübung dient. Demgegenüber setzt der Autor auf eine Zukunftsvision, in der Märkte, Zinsen und Schulden zugunsten menschlicher Beziehungen entmachtet werden. Und möglicherweise können wir bald alle in Peter Lichts „Lied vom Ende des Kapitalismus“ einstimmen: „Der Kapitalismus, der alte Schlawiner/Ist uns lang genug auf der Tasche gelegen.“ Denn, so schreibt Graeber, von der Antike bis in die Gegenwart haben Schuldenkrisen immer revolutionäre Bewegungen ausgelöst. Wir sind gespannt. Wer diese und andere Thesen mit dem Autor diskutieren möchte, begebe sich zur Lesung bei Dussmann (Mittwoch, 19 Uhr, Friedrichstraße 90).

„Literarische Blicke in die Zukunft“ will auch das Literarische Colloquium werfen (Am Sandwerder 5, Donnerstag, 20 Uhr). Angelika Meier und Benjamin Stein haben in ihren neuen Romanen den Menschen mittels Medizin und Technik optimiert. Meiers Held, ein Arzt mit Namen Dr. Franz von Stern, verfügt in „Heimlich, heimlich mich vergiss“ über eine zusätzliche Hirnrindenschicht und einen Mediator zwischen seinen Rippen; Steins Protagonist Ed Rosen ist in „Replay“ über ein Implantat direkt mit den Kommunikationsströmen dieser Welt verbunden, ja Teil von ihnen. Während sich Stern in verschiedene Personen aufspaltet, kann Ed Rosen seine eigenen Wahrnehmungen aufzeichnen, als Replays wieder abspielen und dabei verändern. Meiers Roman ist schreiend komisch, derjenige Steins eher duster gestimmt. Ob wir nach der Lektüre Kapitalismus und Hightechmedizin mittels Delete-Taste verabschieden oder nicht – sicher ist, dass Graeber, Meier und Stein im Fast-Forward-Modus denken und schreiben.

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