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SCHREIB Waren: Der Lärm der Anderen

Selbst Seneca, der Seelenruhige, hatte irgendwann die Faxen dicke. Er hatte sich eine Wohnung über einem Bad gemietet und nun lärmte es tagein tagaus.

Selbst Seneca, der Seelenruhige, hatte irgendwann die Faxen dicke. Er hatte sich eine Wohnung über einem Bad gemietet und nun lärmte es tagein tagaus. Immerhin konnte Seneca so Erkenntnisse über die eigene Geräuschempfindlichkeit gewinnen. Wasserrauschen war leichter zu überhören als eine menschliche Stimme. Denn in der Stimme klang ein fremdes Leben mit, und diese erzwungene Intimität brachte seine innere Ruhe zum Einsturz. Die Anekdote findet sich in Sieglinde Geisels Buch „Nur im Weltraum ist es wirklich still“, das Geräusche nach ihrem Erregungspotenzial untersucht. Geisels These: Der enervierende Lärm entsteht im Kopf, indem man die akustische Ausdehnung des anderen als Anmaßung empfindet. Ist das Verhältnis zum anderen gespannt, können selbst leiseste Geräusche zermürben. Diese Psychologisierung des Hörens kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das städtische Leben lauter geworden ist. Eine Studie kam zu dem Schluss, dass eine Geräuschkulisse von 65 Dezibel ein um 30 Prozent höheres Herzinfarktrisiko birgt als eine von 60 Dezibel – nur für Männer allerdings. Warum das so ist, kann Sieglinde Geisel sicher am heutigen Dienstag um 20 Uhr 30 im Buchhändlerkeller (Carmerstr. 1) beantworten.

Lärm dürfte für die verarmten Westvölker in Jörg-Uwe Albigs Science-Fiction „Berlin Palace“ wohl die geringste Sorge sein. Sie arbeiten für die chinesischen Herrenmenschen im Jahr 2032 als Scheibenputzer, während chinesische Werbefilmregisseure an einem Clip für ein Parfüm mit dem deutschen Wort „Wald“ arbeiten. Weil der barbarische Deutsche für die Technochinesen das Ursprüngliche verkörpert. Gewitzt spielt Albig die Idee eines auf den Kopf gestellten Exotismus durch. Am Donnerstag, 8. 4., stellt er seinen Roman um 20 Uhr in der Volksbühne vor (Linienstr. 227).

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