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Schreibwaren: Satanische Schattenwirtschaft

Steffen Richter rät dringend von Tauschgeschäften mit dem Teufel ab.

Wer mit dem Teufel frühstückt, braucht einen langen Löffel. Warum aber lässt man sich überhaupt mit dem Teufel ein? Für gewöhnlich, um über sein begrenztes menschliches Maß hinauszukommen – sei es in geistigen Dingen oder in körperlichen. Irgendwann aber folgt die Abrechnung. Dann merkt man, dass der Löffel zu kurz war (wie die Herren Winokurow oder Rasmussen bei der Tour de France).

Der berühmteste Teufelspakt ist sicher der Faust’sche. Nicht immer geht es allerdings gleich um die Seele, manchmal fängt es auch mit dem eigenen Schatten an. Wie bei Peter Schlemihl, der seinen Schatten im Tausch gegen ein nimmerleeres Füllhorn, das „Fortunati Glückseckel“, einem grauen Mann vermacht. Erst als er ihn gegen seine Seele zurücktauschen soll, geht Schlemihl auf, dass er es mit dem Teufel zu tun hat. Diese wundersame Geschichte verdanken wir Adelbert von Chamisso, der heute bestenfalls als romantischer Dichter bekannt ist. Dass er auch ein Weltreisender, ein früher Adept des Kriminalromans und ein hochrespektabler Naturforscher war, daran erinnert eine Chamisso-Woche im Brecht-Haus (Chausseestraße 125, Mitte, 30.7. bis 3.8., jeweils 20 Uhr).

Die Schlemihl-Geschichte endet damit, dass der aus der Gesellschaft verstoßene Schattenlose mit Siebenmeilenstiefeln die Erde durchmisst und sein Heil in der Naturforschung sucht. Ganz ähnlich begab sich ihr Autor 1815 als „Titulargelehrter“ mit der russischen Brigg „Rurik“ auf eine dreijährige Weltreise nach Brasilien, Kamtschatka und Alaska, um nach der Rückkehr Kustos am Berliner Botanischen Garten zu werden. Unzugehörig wie Schlemihl hat sich auch Chamisso zeitlebens gefühlt. Seine Familie aus dem lothringischen Adel war während der Französischen Revolution nach Deutschland geflohen, Chamisso pendelte zwischen den Romantikerkreisen um Eduard Hitzig, Varnhagen von Ense und E. T. A. Hoffmann in Berlin und Madame de Staël in Paris und Genf. Um das Dasein zwischen allen Stühlen geht es im Brecht-Haus am heutigen Dienstag. Morgen (1.8.) liest Corinna Harfouch aus der lange verschollenen „Galerie der pfiffigsten Schliche und Kniffe berüchtigter Menschen“, die unter dem Titel „Die Gauner“ gerade bei Matthes & Seitz Berlin erschienen ist. Am 2.8. sprechen die Schriftsteller Steffen Mensching und Holger Teschke über eine „Schlemihl“-Adaption des deutsch-jüdischen Emigranten Hans Natonek. Und am 3.8. kommt mit der Chinesin Luo Lingyuan („Die chinesische Delegation“, dtv) eine aktuelle Trägerin des Chamisso-Förderpreises. Der wird an Nicht-Muttersprachler verliehen, die „einen wichtigen Beitrag zur deutschen Literatur leisten“ – ganz wie sein Namenspatron mit seinen Gedichten, der „Reise um die Welt“ und natürlich dem „Schlemihl“.

Und vielleicht war es ja eine teuflische Fügung, dass die Sonne über den Champs-Élysées am Sonntag von Wolken verhangen war. So war kein Schatten zu erkennen, als Tour-de-France-Gewinner Alberto Contador in Paris aufs Siegerpodest stieg. Steffen Richter

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