zum Hauptinhalt

SCHREIB Waren: Unbekannt verreisen

Einmal sollte man seine Siebensachen / Fortrollen aus diesen glatten Geleisen. / Man müßte sich aus dem Staube machen / Und früh am Morgen unbekannt verreisen.

Einmal sollte man seine Siebensachen / Fortrollen aus diesen glatten Geleisen. / Man müßte sich aus dem Staube machen / Und früh am Morgen unbekannt verreisen.“ Diese schönen Verse schrieb die Dichterin Mascha Kaléko 1938. Sie könnten das Motto für Annett Gröschners neues Buch „Mit der Linie 4 um die Welt“ sein, das die Reisen der Autorin dokumentiert. Das Besondere: Gröschner erkundete die Städte stets mit dem Bus oder Straßenbahnen der Linie 4. Sie beschreibt nicht nur Szenen des urbanen Lebens in Alexandria, New York, Peking und anderswo, sondern verknüpft dies mit architektur- und literaturgeschichtlichen Hinweisen und politischen Reflexionen. Die Buchpremiere mit Annett und Nadja Gröschner findet stilecht am Samstag in einem Rekozug der alten Berliner Linie 4 statt. Achtung: Bitte unter der Telefonnummer 2822003 oder info@lfbrecht.de anmelden, sonst ist der Zug voll und Sie dürfen zu Fuß nebenhertraben! (Abfahrt: 10 u. 11 Uhr, Wendeschleife am Mauerpark, Eberswalder Straße). Die eingangs zitierte Mascha Kaléko kannte das Reisen aus leidvoller Erfahrung. Aus Angst vor Pogromen flohen ihre Eltern mit der siebenjährigen Tochter aus Chrzanów, damals zu Österreich-Ungarn gehörend. Die Familie lebte zunächst in Frankfurt/Main und Marburg, 1918 ging sie nach Berlin. Hier veröffentlichte Kaléko 1929 erste Gedichte, 1933 erschien ihr erfolgreicher Band „Das Lyrische Stenogrammheft“. 1935 wurde sie als Jüdin aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, ihre Bücher landeten auf dem Index. Kaléko wurde mit Tucholsky und Kästner verglichen, zu ihren Bewunderern zählten Hermann Hesse, Gottfried Benn und Albert Einstein. Über ihre Gedichte, die das alltägliche Leben in einer Mischung aus Ironie und Melancholie einfangen, schrieb der Philosoph Martin Heidegger an die Autorin: „Ihr ’Stenogrammheft’ sagt, dass Sie alles wissen, was Sterblichen zu wissen gegeben.“

1938 emigrierte sie mit Ehemann und Sohn in die USA, 1960 nach Israel. „Ich wollte“, schrieb ihr der Exilant Thomas Mann, „dass Ihre wohllautend-mokante Stimme auch wieder in Deutschland erklänge.“ Nun ist die erste kommentierte Gesamtausgabe der Werke und Briefe erschienen, aus der am Donnerstag die Schauspielerin Maria Schrader liest (20 Uhr, Renaissance-Theater, Knesebeckstr.).

Auch der 1901 in Berlin geborene Autor, Journalist und Seefahrer Heinrich Hauser emigrierte 1938 in die USA. Er war allerdings kein Verfolgter, sondern ging aus freien Stücken. Der Fragment gebliebene Roman „Zwischen den Welten“ von 1943 erzählt von der Emigration und dem schweren Neubeginn als Farmer im Staate New York. Stefan Weidle, Benedikt Viertelhaus und Gernot Krämer stellen das Buch an diesem Dienstag vor (20. 30 Uhr, Buchhändlerkeller, Carmerstr. 1).

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false