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Kultur: Schreibwaren

VOR >> Jörg Plath begleitet zwei Begeisterte auf dem Weg nach Parnass Für manche ist die Chaussee der Enthusiasten schlicht eine Gaudi. In einem Friedrichshainer Keller lesen junge Autoren einem gleichaltrigen Publikum mit spätadoleszentem Witz und früh abgeklärter Selbstironie Texte über Liebe, Leid und Ladenschluss vor.

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Jörg Plath begleitet zwei

Begeisterte auf dem Weg nach Parnass

Für manche ist die Chaussee der Enthusiasten schlicht eine Gaudi. In einem Friedrichshainer Keller lesen junge Autoren einem gleichaltrigen Publikum mit spätadoleszentem Witz und früh abgeklärter Selbstironie Texte über Liebe, Leid und Ladenschluss vor. „Die schönsten Autoren Berlins erzählen was“ verspricht die Chaussee-Eigenwerbung in ortsüblicher Verwendung ästhetischer Untertreibungen.

Für andere ist die Chaussee der Enthusiasten ein Weg zum Erfolg. Wer die Chaussee nämlich mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa zwei Büchern pro Doppeljahr in renommierten Verlagen durchfährt, der erreicht nach 350 Seiten die Allee der Besten. Dort herrscht weniger Verkehr, und die Wagen sind größer. Die Allee zieht sich durch tiefe Täler und über hohe Berge bis zum fernen Horizont dahin. Die Dichte der Raststätten, der Pannenhilfen und anderer hilfreicher Etablissements ist hoch, freilich auch die der Zaungäste und holprigen Abfahrten ins Nirgendwo, vulgo: bürgerliches Berufsleben.

Gleich zu Beginn, am Wannsee, lädt ein empfehlenswertes Motel zur Rast. Bisher lag der Palazzo des Literarischen Colloquiums eher verborgen hinter einem hohen Eisengitter. Doch seit einiger Zeit werden die Zufahrtgenehmigungen für den Tempel der Hochkultur weniger restriktiv ausgegeben. So kehren nun am 12.8. um 20 Uhr nach kurzer Fahrt an die Sonne, ans Licht zwei Kellerkinder ein am Wannsee, „zwei literarisch versierte Humoristen der Extra-Klasse“, wie das Literarische Colloquium in ortsüblicher Häufung der Attribute jubelt: Jochen Schmidt und Falko Hennig.

Hennig, 1969 in der Hauptstadt der DDR geboren, kommt eher im übertragenen Sinn aus der Chaussee, da er der befreundeten Reformbühne Heim & Welt entwachsen ist. In seinem zweiten Roman „Trabanten“ (Piper) erzählt er nicht wenige Witze, zum Beispiel jenen von den Polizisten, die die Beleuchtung eines Autos kontrollieren: „Einer sitzt im Auto, schaltet das Licht ein. Der andere Polizist steht davor, sagt: Geht! Dann der Blinker, der Polizist davor: Geht! Geht nicht! Geht! Geht nicht! Geht! Geht nicht!" Wer mit solch einem Humor aufwachsen muss, kann sich später nur wundern. Hennigs Roman in kurzen Abschnitten handelt von Kindheit, Jugend und frühem Erwachsensein, vor allem aber von den jeweiligen Motorrollern und Autos. In der Gunst am höchsten steht ein Gefährt mit den aromatischsten Abgasdüften weit und breit: der Tabant. Irgendwie spielt dann auch noch Werner von Braun eine Rolle, Hitlers Raketeningenieur und „Wunderwaffen“-Erfinder, der den Amerikanern die Mondrakete mitsamt dem - für Hennigs Erzähler unverzichtbaren - Mondauto baute.

Hennigs Beifahrer an diesem Abend ist der ein Jahr ältere Jochen Schmidt. Er gewann 1999 den „Open Mike"-Preis mit einer Geschichte über den Bauern Harnusch, der mit der Sense mähte wie ein Balletttänzer. Harnusch ist tot, ersteht aber noch einmal auf in einem Gespräch, dem man wie auf dem Fensterbrett liegend lauscht. In „Triumphgemüse“ (Beck), Schmidts erstem Erzählungsband, kommen einige Gestalten hinzu, darunter ein junger, schüchterner Schriftsteller mit ausgreifenden Plänen und einer Menge Bildung im Hinterkopf. Freilich befindet sich auf der anderen Seite des Kopfes seit geraumer Zeit eine reizende, junge Frau. Wie soll man unter solchen Umständen schöpferisch wirken? Ähnlich problematisch sind viele der Schmidtschen Existenzen, auch wenn der Titel seines zweiten Bandes, der in New York spielt, in Optimismus macht: „Müller haut uns raus“ (Beck). Mal sehen, wie er das schaffen will. Danach gibt es ein paar Biere für die beiden Enthusiasten, und am nächsten Tag geht es wieder auf die Piste, Richtung Parnass.

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