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Häftlinge in Fuping in der Provinz Shaanxi, wo sich auch das Gefängnis von Liu Xiaobo, Friedensnobelpreisträger von 2010, befindet.

© picture alliance / CHINAFOTOPRES

Schriftsteller in China: "Die meisten machen eifrig mit"

Der Exil-Chinese Bei Ling ist Poet, Verleger und Dissident. Im Tagesspiegel-Interview spricht er über Chinas Schriftsteller, inhaftierte Kollegen und den Nobelpreis für Mo Yan, der im Jahr 2009 wegen Bei Lings Auftritts auf der Frankfurter Buchmesse den Saal verließ.

Herr Bei Ling, der Schriftsteller Liao Yiwu sagte am Sonntag bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in Frankfurt: „Das Imperium muss zerbrechen.“ Hat er recht?

Das ist seine Langzeitvision, der ich absolut zustimme. Aber er sieht das auch in einem historischen Kontext. Wir chinesischen Schriftsteller im Exil müssen hoffen und wünschen. Falls es Reformen in China geben sollte, bin ich bereit, sofort zurückzugehen. Gleichzeitig bin ich auch bereit, nie mehr nach China zu kommen.

Wie fanden Sie seine Rede?

Sehr stark und sehr klar. Er hat auch an den Westen eine deutliche Botschaft gesandt.

Er sagte, der Westen mache unter dem Deckmantel des freien Handels „gemeinsame Sache mit den Henkern“.

Es war eine gute Entscheidung, ihm den Friedenspreis zu verleihen. Nun haben zwei unterschiedliche chinesische Autoren Preise erhalten. Beide schreiben historische Bücher, beiden beschreiben das Leben der einfachen Leute, aber nur einer schildert drastisch und mit starken Worten die wirkliche Situation in China.

Hat Mo Yan den Nobelpreis für Literatur in Ihren Augen verdient?

Es gibt so viele große Schriftsteller, die den Preis nicht bekommen haben oder werden. Soll ich die jetzt alle aufzählen, damit es peinlich wird für den Preis oder für den Preisträger? Für mich hat der Literaturnobelpreis vor allem die Bedeutung, dass er mich dazu anregt, ein, zwei Werke des jeweiligen Preisträgers zu lesen.

Und zu welchem Buch von Mo Yan wurden Sie angeregt?

Mo Yan empfiehlt seinen Roman „Der Überdruss“. Ich habe ihn vor kurzem angefangen, es ist ein Genuss. Allerdings ein recht einseitiger: Man wird in eine karnevaleske Sprache hineingezogen, die süchtig machen soll. Diese endlosen fließenden Sätze des Grundbesitzers, der als manischer Esel wiedergeboren wird! In diesem Karneval der Sprache bekomme ich Angst vor der Mordlust der Kulturrevolution. Damals dröhnten Lautsprecher Tag und Nacht, überall hingen Poster mit Denunziationen. Mo Yan ist ein östlicher Gabriel García Márquez, aber vielleicht etwas fader. Vielleicht wechsle ich zur „Knoblauchrevolte“, die Peter Englund von der Schwedischen Akademie empfiehlt, weil man in diesem Roman sehr gut Mo Yans Stil mitbekommt.

Warum wird er im Westen mehr als KPMitglied wahrgenommen denn als Autor?

Mo Yan ist kein Politiker, auch kein politischer Schriftsteller. Ich glaube, er will es nicht sein, er wagt es nicht. Er ist Schriftsteller und KP-Mitglied. Er muss der Parteidisziplin folgen. Wenn die Partei und der Staat etwas von ihm wollen, muss er politisch korrekt sein und darf sich nicht drücken. Er sagt selbst, dass er ein Monatsgehalt von einer staatlichen Institution bezieht und als „professioneller Schriftsteller“ abgesichert ist. Die meisten Schriftsteller in China sträuben sich keineswegs gegen so etwas, sie machen eifrig mit.

Ausgeschlossen und zur Seite geschoben

Was hielten Sie von ihm, als er 2009 auf der Frankfurter Buchmesse wegen Ihnen den Saal verließ?

Es war eine dramatische Situation. In meinem Buch „Ausgewiesen: Über China“, das jetzt bei Suhrkamp erschienen ist, habe ich darüber berichtet. Es war am Vormittag des 12. September 2009, die Umweltaktivistin Dai Qing und ich wurden aufs Podium gebeten. Da sah ich, wie Mo Yan ein grimmiges Gesicht machte und mit den von China aufgebotenen Funktionären und Intellektuellen hinausging, wie aufgefädelt folgten sie einander. Wo wir waren, war kein Platz für sie? Sie weigerten sich, Dai Qing und mich reden zu hören? Wollten sie den Frankfurter Bürgermeister und die Leitung der Frankfurter Buchmesse brüskieren?

Der Schriftsteller durfte offenbar nicht mit Ihnen in einem Raum sitzen.

Es überraschte mich schon, dass Mo Yan und die hochrangigen Akademiker sofort gehorchten. Es kam sogar noch dramatischer. Der Messe-Chef entschuldigte sich bei der chinesischen Delegation, der chinesische Botschafter trat ans Podium und wies die Deutschen in fließendem Deutsch zurecht. Das Symposium wurde fortgesetzt, aber Dai Qing und ich durften unsere Vorträge nicht halten. Ich regte mich nicht auf. Ausgeschlossen oder zur Seite geschoben zu werden, das kenne ich. China ist schon lange keine Bastion der Höflichkeit mehr, wenn Sie die Vertreter Chinas ansehen, nicht wahr?

Sie haben nach dem Eklat trotzdem den Kontakt zu Mo Yan gesucht.

In der Pause ging ich zur chinesischen Delegation hinüber, ließ mich anfunkeln und grüßte Mo Yan, mit dem ich ursprünglich auf einem Panel diskutieren sollte. Ich wollte ihn kennen lernen und verifizieren, was er angeblich in einem Interview mit der Staatszeitung „Global Times“ behauptet haben sollte: dass er sich grundsätzlich weigere, mit Bei Ling über Literatur zu diskutieren. Wenn er Bei Ling nur sehe, werde er das Symposium sofort verlassen. Ich fragte ihn, ob er das wirklich gesagt habe. Seine Miene wurde noch grimmiger: Er habe der „Global Times“ kein Interview gegeben, so etwas habe er nie gesagt und würde es auch nicht sagen. Die „Global Times“ hielt uns also alle zum Narren. Sie benutzten Mo Yan wie einen Stein, den sie auf Dai Qing und mich warfen.

Wie ist seit diesem Vorfall ihr Verhältnis zueinander?

Wir haben keinen Kontakt mehr miteinander. Auf der Buchmesse hatten wir allerdings noch einen signifikanten Austausch über Goethe und Beethoven. Mo Yan hielt einen Vortrag und erzählte am Ende eine Anekdote, die in China jedes Kind kennt. Beethoven und Goethe gehen spazieren, als die Kutsche des Kaisers vorbeikommt. Goethe macht sofort Platz, steht stramm, verbeugt sich, kniet nieder und zieht seinen Hut, um dem Kaiser seine Referenz zu erweisen. Beethoven hingegen geht in stolzer Haltung weiter. Mo Yan sagte, in seiner Jugend habe er Beethoven bewundert und nicht viel von Goethe gehalten. Aber mit über 50 habe er Respekt und Verständnis für Goethe. Ich meldete mich und durfte Mo Yans Anekdote etwas vervollständigen.

Wie geht sie weiter?

Als die Kutsche des Kaisers vorüber war, fragte Goethe Beethoven ungehalten, warum er für den Kaiser nicht anhalte, sich verbeuge, niederknie und den Hut ziehe. Darauf Beethoven: „Es gibt viele Kaiser auf der Welt, aber nur einen Beethoven.“ Im Gegensatz zu Mo Yan hege ich noch heute Respekt für Beethoven. Aber ich verstehe heute auch mehr, warum Goethe sich verbeugte, einen Diener machte, seinen Hut zog usw. Mo Yan machte seinem Namen alle Ehre („Mo Yan“ bedeutet „Der Sprachlose“, d.Red.) und erwiderte nichts.

Als das norwegische Komitee 2010 den Friedensnobelpreis an den inhaftierten Schriftsteller und Regimekritiker Liu Xiaobo vergab, tobte Chinas Regierung. Ist der Literaturnobelpreis für Mo Yan nun ein Versuch, China wieder zu besänftigen?

Ich glaube, das norwegische Komitee ist sich der enormen politischen Sprengkraft bewusst, die dieser Preis haben kann. Die Mitglieder müssen sehen, ob der jeweilige Preisträger den Frieden zwischen den Völkern voranbringen kann. Der Preis für Liu Xiaobo hatte enorme politische Wirkung, er hat die Herrschenden in China in der Tat wütend gemacht.

"Eine Stimme des Gewissens"

China verweigert seitdem einigen norwegischen Politikern Einreisevisa und drosselt den Handel mit Norwegen.

Die Politiker im Westen müssen sich schon länger mit dem großen Aufstieg dieser Diktatur aus dem Osten herumschlagen. Und die Geschäftsleute sind natürlich auf Profit bedacht. Ich kann das Komitee nur für seine Weisheit bewundern, darauf keine Rücksicht zu nehmen. Die Schwedische Akademie wiederum, die den Literaturnobelpreis vergibt, ist sich gewiss ebenfalls ihrer politischen Wirkung bewusst. Die politische Haltung von Mo Yan ist allgemein bekannt, er macht kein Geheimnis daraus.

Wie geht es dem inhaftierten Liu Xiaobo, dessen Biografie Sie geschrieben haben?

Unser Friedensnobelpreisträger hat noch über acht Jahre abzusitzen. Ich bin kein Verwandter, auch kein sehr naher Freund, also weiß ich nicht viel. Seine beiden Brüder durften ihn unlängst besuchen, die drei haben sich nach langer Zeit wieder gesehen. Liu Xiaobo geht es angeblich körperlich und geistig gut, heißt es. Allerdings gibt es auch die Nachricht, dass sich seine Magenkrankheit verschlimmert hat. In den letzten beiden Jahren durfte ihn nur seine Frau Liu Xia regelmäßig besuchen, manchmal jeden Monat, manchmal in größeren Abständen.

Zuletzt meldete die BBC, dass die Regierung den Menschenrechtler mit besonders strengem Hausarrest für seine Frau Liu Xia zwingen will, ins Ausland zu gehen.

Gerüchten zufolge weigert sich Liu Xiaobo, ins Ausland zu gehen, auch wenn er dafür freigelassen wird. Der Staat hält Liu Xia weiter unter strengem Hausarrest, sie wird für ihre Verbindung zu Liu Xiaobo bestraft, auch dafür, dass sie ihn noch nicht überredet hat, ins Exil zu gehen.

Mo Yan hat sich nach der Bekanntgabe des Nobelpreises für Liu Xiaobo eingesetzt. Er sagte in seinem Heimatort Gaomi: Ich hoffe, dass Liu Xiaobo bald freikommt.

Das hat mich überrascht, es ist eine Stimme des Gewissens. Ich hoffe, dass er bei der Nobelpreisverleihung in zwei Monaten dasselbe sagt, mit seiner wahren, eigenen Stimme, nicht mit der offiziellen. Und er vielleicht sogar hinzufügt, dass er die gleiche Hoffnung für alle anderen politischen Gefangenen hegt.

Am Donnerstag (20 Uhr) spricht Friedenspreisträger Liao Yiwu im Deutschen Theater in Berlin mit Sigrid Löffler, Ulrich Matthes liest aus dem neuen Roman "Die Kugel und das Opium".

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