zum Hauptinhalt
Lust am Fabulieren. „Peter Holtz“ ist Ingo Schulzes dritter Roman.

©  Gaby Gerster

Schriftsteller Ingo Schulze: „Ich war nicht naiv genug, mir 1989 vorzustellen“

Der Schriftsteller Ingo Schulze über seinen Roman „Peter Holtz“, die Verwerfungen der Wende und die Folgen der Finanzkrise.

Herr Schulze, mit „Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“ haben Sie nun abermals einen deutsch-deutschen Roman, einen Wenderoman geschrieben. Muss man dieses Buch schon als historisch bezeichnen?

Oh, ich habe befürchtet, dass dieser Begriff fällt. Der ist ja nicht falsch, nur ruft er so viele Stereotype auf, dass ich als Leser eher abwinken würde. Mir geht’s schon immer ums Hier und Jetzt, nur finde ich es wichtig, auch das Herkommen zu wissen, also die Art und Weise, wie unsere heutigen Selbstverständlichkeiten entstanden sind. Ich will ja auch nicht verdammt sein, nicht mehr über Vergangenheit schreiben zu können, nur weil sie bei mir im Osten liegt. Mich hat die DDR eigentlich immer nur als Kontrast interessiert, als Teil des Übergangs. Beim Schreiben entdeckte ich dann doch Aspekte, die mich mehr interessierten, sozusagen das utopische Potenzial unter all den Verkrustungen, das im Herbst ’89 kurz sichtbar wurde. Die epochalen Veränderungen von damals wirken bis heute, manches verstehen wir sogar erst heute.

Wie sind Sie zu Ihrem Helden gekommen, diesen Peter Holtz, den wir zunächst als Heimkind und in seinen jungen Jahren als überzeugten Kommunisten kennenlernen?

Ich wollte eine Figur durch die Zeiten schicken, die stets das Gute will. So ein bisschen auch der „dumme Iwanuschka“ aus den russischen Märchen, eine Figur, die alle beim Wort nimmt. Ich las Ilija Ehrenburgs Roman „Die ungewöhnlichen Abenteuer des Julio Jurenito“. Dort sitzt der Ich-Erzähler im ersten Kapitel in einem Pariser Café und wartet darauf, dass jemand seinen Kaffee bezahlt, weil er kein Geld mehr hat. Das habe ich dann in meine Erzählwelt transponiert, und dann hatte ich schon mein erstes Kapitel ...

... in welchem Ihr Held 1974 in einem Restaurant sitzt, nachdem er gegessen und getrunken hat und dann nicht bezahlen will und der Kellnerin versucht darzulegen, wie unsinnig die Verwendung von Geld im Sozialismus ist ...

.... ja, und von diesem Punkt aus habe ich versucht, Selbstverständlichkeiten infrage zu stellen, indem Peter Holtz beide Systeme ungebrochen ernst nimmt, Ost und West beim Wort nimmt. Durch seine jeweils bejahende, also affirmative Haltung wird das Offizielle mit sich selbst konfrontiert.

Also ein Schelm, ein moderner Simplicius, in Anlehnung an Grimmelshausens „Simplicius Simplicissimus“. Ihr Peter Holtz ist dann aber eine durchaus bewegliche Figur, wenn man so will. Er besteht nicht nur einfach Abenteuer, sondern macht gar eine Entwicklung durch.

Der Picaro-Roman ist eine wunderbare, reiche Tradition, vor allem Grimmelshausen kennt man im Deutschen. Ich habe den Roman von Ehrenburg genannt, man kann auch an Dostojewskis „Idioten“ denken, an Fürst Myschkin, an Grass’ Oskar Matzerath oder Voltaires Candide. Peter Holtz wird zum Christentum bekehrt und tritt in die Ost-CDU ein, die er eigentlich in Christlich-Kommunistische Demokraten umbenennen will, und wird dann ein verantwortungsbewusster Unternehmer, der aber immer nur mehr und mehr Geld bekommt, statt die Welt zum Guten zu verändern. Ich weiß nicht, ob Peter tatsächlich reift, auch wenn er das von sich behauptet. Aber seine Anschauungen verändern sich permanent.

War das Korsett mit dieser Figur nicht manchmal ein bisschen starr? Hatten Sie nie das Gefühl, hinter Ihren erzählerischen Mitteln zu bleiben? Formal halten Sie Ihren Schelmenroman konsequent bis zum Ende durch. Er ist in zehn Bücher unterteilt und diese wiederum in viele kleinere Kapitel, die jeweils mit zwei, drei erklärenden Sätzen überschrieben sind.

Ich habe versucht, ein Bonbon ans andere zu reihen. Manches Bonbon musste ich wieder rausnehmen, um Kurs zu halten. Gerade die Unterüberschriften sind wichtig, sorgen sie doch für die Distanz zum Erzähler, sie lassen ihn wie auf einer Bühne stehen. Es geht nicht um Psychologie, eher um die Allegorie.

Ihr Roman ist konsequent im Präsens erzählt, mit vielen kurzen, einfachen Sätzen. Sprachlich ist das keine große Herausforderung, und das Gros seines Inhalts wird über Dialoge transportiert.

Ich fand das Präsens eine enorme Herausforderung. Vielleicht ist es überhaupt die größte Herausforderung, dass sich etwas leicht lesen lässt. Man darf den Schweiß des Schreibers nicht im Buch riechen. Beschreibungen sind selten, weil viel gehandelt wird, viel gestritten wird. Peter ist ständig in Diskussionen verstrickt, in denen seine Sicht auf die der anderen prallt. Das Präsens war mir sehr wichtig. Dieser Held ist immer an sein Jetzt gekettet, da fehlt der Hallraum, das raunende Imperfekt, aber dafür gewinne ich Unmittelbarkeit, nichts ist vergangen.

Peter Holtz ist jedoch wie Sie 1962 geboren – hat Ihnen das eine gewisse Sicherheit gegeben?

Ja. Schon diejenigen, die zwei, drei Jahre jünger waren als ich, hatten zum Beispiel andere Schulfächer. Aber sonst hat Peter Holtz natürlich nicht viel mit meiner Person zu tun, anders als zum Beispiel bei meinem Roman „Neue Leben“, da entsprach der Hintergrund meinen eigenen Stationen. Allein die Denkart von Peter ist eine andere. Peter bejaht die Verhältnisse immer, ist dabei aber kontra-opportunistisch, wenn es diesen Begriff gibt.

Sie haben also rein gar nichts mit Ihrer Figur gemeinsam?

Es gibt immer mal Details, in denen ich mich, offenbar auch einige Leser, wiederfinde. Ich war nicht naiv genug, um mir so etwas wie den Herbst 1989 wirklich vorstellen zu können. Aber als es dann da war, war ich, wie Peter Holtz, davon überzeugt, jetzt wird daraus tatsächlich eine demokratische Republik, ein Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Es schien mir sogar unabweislich zu sein, dass jetzt etwas ganz Neues entstehen wird, etwas nie vorher Erlebtes, und das ist aus heutiger Sicht natürlich Naivität gewesen, in dem Punkt war auch ich ein Peter Holtz. Erst beim Schreiben ist mir bewusst geworden, an welchem Punkt wir damals eigentlich standen: Wir kamen aus einer Welt, in der zu dem Recht auf Arbeit, Wohnung, medizinische Versorgung, Ausbildung nun die bürgerlichen Rechte und die Freiheiten hinzukamen. Und wir haben versucht – stümperhaft, es gab ja keine Vorbilder –, die Demokratie auf die Ökonomie auszudehnen, die Betriebe tatsächlich in Besitz zu nehmen. Das war leider schnell vorbei.

Man meint, dem Buch das anzumerken: eine große Sehnsucht, eine große Sympathie für den Weg zwischen den beiden Systemen. Es gibt da eine Art Utopiepotenzial.

Aus heutiger Sicht wirkt das naiv und utopisch. Damals war das ein paar Monate lang eine alltägliche Anstrengung.

Warum endet der Roman 1998?

Die andere Hauptfigur des Romans ist das Geld. Ich hätte das Ganze auch 2008 beenden können, als durch die Finanzkrise offensichtlich wurde, auf welch dünnem Eis wir uns bewegen. Aber Peter Holtz ist in diesem Punkt weitsichtig. Er glaubt auch nicht an die rot-grüne Alternative von 1998, so wie viele Figuren um ihn herum. Nachdem er immer sehr skeptisch gegenüber dem Geld gewesen ist, will er es nach ’89 benutzen, um Gutes zu tun. Am Ende weiß er nicht mehr, wie er das viele Geld, das auf ihn gekommen ist, wieder mit Anstand loswerden soll ...

Weshalb Ihr Roman dann doch bis in unsere Gegenwart reicht?

Ja, es ist natürlich die heutige Welt, die da verhandelt wird. Manches Lachen bleibt einem vielleicht auch in der Kehle stecken, weil Komik und Tragik nie wirklich zu trennen sind. Als Leser trete ich ja in die Welt der Figuren ein und lasse diese wiederum auch in mein Leben. Und womöglich könnte sich Peter da, das hoffe ich zumindest, als anregender Gesprächspartner erweisen.

Die Buchpremiere findet am heutigen Donnerstag, den 21. September, um 20 Uhr in der Akademie der Künste statt. Auf dem Programm stehen eine Einführung und ein Gespräch mit Joseph Vogl, Ingo Schulze liest aus seinem Roman. Eintritt: 6/4 Euro.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false