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Kultur: Schrott ist schön

Die Berliner Bildhauergruppe Odious präsentiert sich im Kolbe-Museum.

Gibt es Berliner Kunst? Die Großausstellung „Based in Berlin“ versuchte im letzten Sommer eine Bestandsaufnahme, kürzlich legte das Künstlerhaus Bethanien mit „Berlin. Status“ nach. Beide Präsentationen waren so zerfasert und globalisiert wie die Stadt nun mal ist. Da hat es das Georg-Kolbe-Museum leichter. Es würdigt mit seiner Retrospektive der Bildhauergruppe Odious sechs Künstler als historisches West-Berliner Phänomen.

Genau dreißig Jahre ist es her, dass sich Gisela von Bruchhausen, Klaus Duschat, Klaus Hartmann, Gustav Reinhardt, Hartmut Stielow und David Lee Thompson an der Hochschule der Künste zusammenschlossen. Die Schüler von Bernd Heiliger, David Evison und Philip King gaben sich den englischen Namen „Odious“, übersetzt: hassenswert, widerlich und ekelhaft. Das schien ihnen passend. Kommilitonen und Professoren sollen sich immer wieder über ihren Lärm und Dreck beschwert haben. Die sechs Künstler arbeiteten mit Stahl.

Gleich nach Gründung erregte die Gruppe damit Aufmerksamkeit und fand Förderer. Eberhard Roters kaufte für die Berlinische Galerie Arbeiten aller Mitglieder an. Volker Hassemer unterstützte sie als Kultursenator bei ihrer Ausstellungstournee 1989/99 durch Kunstvereine und Museen in München, Salzburg, Mannheim, Saarbrücken und Bochum. Odious, das war West-Berlin. „Die Gruppe findet ihr Material auf dem Schrottplatz wie der Steinbildhauer seinen Block im Steinbruch“, erklärten die sechs Künstler 1983 in einer Art Manifest. Sie verarbeiteten, was sie auf ihrer Insel finden konnten. Aber nicht als objets trouvés, sondern als wertvollen Rohstoff. Eine Ausnahme bildet Thompson mit seines Assemblagen, in denen er Messbecher, Rohre, Gitterbleche, Trichter, Platten zu Knäueln komponierte.

Als Marke wären sie mit den Jungen Wilden zu vergleichen – wobei diese immer als Gegenpart galten. Die Stahlplastiker verstanden sich in der Tradition des spanischen Bildhauers Julio González, Picassos und des Schweizers Jean Tinguely, allesamt Künstler der Abstraktion. Die Jungen Wilden um Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé oder Bernd Zimmer stemmten sich dagegen mit emotional überschäumender, figurativer Malerei gegen das Abstrakte.

„Im gemeinsamen Spannungsfeld, aber nicht unter kollektiver Kontrolle“ entstanden die Plastiken, beschrieb der Kunstkritiker Lothar Romain die Arbeitsweise der Odious-Künstler. So versammeln sich in der Ausstellung, im Haus am Waldsee selbst und in dessen Garten, ganz unterschiedliche Objekte. Gisela von Bruchhausen platziert ihre Arbeiten ohne Sockel auf den Boden. Viele sind flächig und spielen mit Aussparungen und Überschneidungen. Manches hängt wie federleichte Scherenschnitt-Reliefs an der Wand. Hartmut Stielow lotet das Kräfteverhältnis von schweren Granitblöcken und rostigen Stahlträgern aus. Gustav Reinhardt bearbeitet seine kompakten Bodenplastiken mit schwarzem, mattem Lack und nimmt dem Stahl seine Brachialität. Klaus Duschats Plastiken sind stabile Körper, aus denen filigrane Glieder wachsen. Parallel zur Ausstellung im Kolbe-Museum sind weitere Werke von ihm im Landhaus de Burlet in Schlachtensee mit Malerei seines Bruders Ulf Duschat zu sehen.

Nach der Wiedervereinigung löste sich die Gruppe auf. Nur Duschat und Hartmann treten noch als Odious-Gruppe auf. Sie arbeiten in einem alten Lokschuppen am Schöneberger Südgelände, das sie mitgestaltet haben. Die anderen gingen eigene Wege. Wie sich die Zeiten ändern, das sieht man auch an ihren alten Werkstattadressen. Zuerst bezogen sie in der Heidestraße 52 Quartier, 1986 eine Halle am Humboldthafen. Heute sind beide Adressen typische Berliner Kunstorte. Damals war das Niemandsland, irgendwo zwischen Ost und West.

Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, bis 19. 8.; Di-So 10-18 Uhr. Landhaus de Burlet, Schlickweg 12, bis 15. 7.; Sa/So 14-18 Uhr

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