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Kultur: Schuld und Entschuldigung

Von Deutschland lernen? Der Streit um Japans Kriegsverbrechen beginnt jetzt erst richtig

Der Yasukuni-Schrein ist eine kleine Oase im Zentrum Tokios. Der Tempelbezirk ist wie üblich in Japan von einer Mauer umfasst. Weniger üblich ist, dass darüber auch noch Stacheldraht liegt. Ansonsten weist an diesem Frühlingsmorgen wenig darauf hin, wie umstritten der Schrein ist, in dem seit 1869 gefallene japanische Soldaten geehrt werden, darunter auch 14 so genannte „Klasse A“-Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs.

Die Kirschblüte ist diesmal spät gekommen. Immer noch blühen ein paar Bäume, als am Wochenende die zweimal jährlich stattfindenden Trauerfeiern abgehalten werden. Demonstrativ sind am Tag zuvor 80 Parlamentarier vorbei gekommen, die meisten von der konservativen LDP-Partei des Premiers Junichiro Koizumi. Dessen Besuche des Yasukuni-Schreins führen seit Jahren zu Spannungen mit den Nachbarn, die unter Japans grausamer Kolonialpolitik gelitten haben.

An diesem Samstag herrscht trotz vieler Gäste eine ruhige Atmosphäre. Allein ein schrulliger Weltkriegsveteran steht mit großer Japanfahne demonstrativ vor der hölzernen Tempelhalle, als wolle er die vielen Veteranen beschützen, die gebeugt auf kleinen Klappschemeln unter dem ausladenden Dach sitzen und der Andacht des Schinto-Priesters lauschen.

Japan ist von der Wiederkehr der Vergangenheit überrascht worden. Die Ausschreitungen gegen japanische Einrichtungen in China, die harsche Kritik aus Südkorea am Umgang Japans mit seinen Kriegsverbrechen kommt in einer Zeit, in der das Land endlich wieder mit Zuversicht in die Zukunft schaut – nach dem „verlorenen Jahrzehnt“ der Wirtschaftsflaute. Der Kaiser hatte sich doch nach dem Krieg für Japans Untaten entschuldigt, genauso wie 1995 der damalige Ministerpräsident Tomiichi Murayama. Das müsse reichen, denken viele. Japanische Zeitungen rechnen vor, dass die Nation seitdem 17 Mal um Vergebung gebeten habe. Viele Japaner vermuten, dass die Nachbarn die Vergangenheit für politische Zwecke instrumentalisieren.

Auch wenn China Historisches benutzt, um gegenüber Japan einen Führungsanspruch in der Region anzumelden, so bleiben die Besuche Koizumis beim Yasukuni-Schrein doch eine Provokation. Wer wissen will, wes Geistes Kind das Totengedenken hier ist, muss nur in das dazugehörende Militärmuseum gehen: Dort künden der Mitsubishi-Kampfbomber „Zero Fighter“ und das Kamikazeflugzeug „Kirschblüte“ vom Stolz auf die Leistungsfähigkeit der damaligen japanischen Armee. Und die auf den Schautafeln erzählte Geschichte von Japans Kriegen in Ostasien revisionistisch zu nennen, käme einer Untertreibung gleich. Das Massaker im chinesischen Nanking etwa, bei dem Hunderttausende ums Leben kamen, wird als „Vorfall“ bezeichnet, die Verbrechen an der Zivilbevölkerung werden als „schwere chinesische Verluste“ beschönigt. Am Ende, so heißt es, hätten die Bewohner Nankings wieder in Frieden leben können. Einem Frieden der Friedhöfe.

Im außenpolitischen Establishment Japans findet man derzeit kaum jemanden, der Koizumis Besuche gutheißt. „Sie geben den Chinesen Grund für negative Gefühle", so der Sprecher des Außenministeriums Hatsukisa Takashima. Yoshimasa Hayashi von Koizumis LDP-Partei wird deutlicher: „Koizumi hat eine Linie überschritten, als er sagte, dass es ihm egal sei, wer im Schrein verehrt wird.“ Immer wieder muss sich Japan nun von den Nachbarn sagen lassen, es möge sich ein Beispiel an den Deutschen nehmen. Die japanischen Verbrechen sind nicht mit denen der Deutschen vergleichbar, Japans Politiker hegen dennoch teilweise skurrile Ansichten über die deutsche Aufarbeitung. „Ihr hattet es leichter, ihr habt alles auf Hitler schieben können“, sagt der Parlamentarier Hayashi. „Wir hingegen haben den Hauptverantwortlichen, den Tenno, behalten, weil die Amerikaner nach dem Krieg ein Auseinanderbrechen der Gesellschaft verhindern wollten.“ Und Außenminister Nobutaka Machimura meinte kürzlich: „Die Deutschen konnten alles Böse den Nazis anlasten, indem sie quasi argumentierten, dass die Nazis einer anderen Rasse angehörten.“ Das verkehrt die schmerzhafte, immer noch anhaltende Auseinandersetzung mit dem Holocaust in ihr Gegenteil: in eine billige Sündenbockstrategie.

In den 80ern hatte es in Japan Anzeichen für einen kritischeren Umgang mit der Geschichte gegeben. Erstmals war in Schulbüchern von Zwangsprostituierten, Massakern und medizinischen Experimenten an Gefangenen die Rede. Auch wenn das jetzt stark kritisierte revisionistische neue Schulbuch nur eins von vielen ist und bisher auch kaum von Lehrern genutzt wird, neigen die Schulbuchverlage seit Ende der 90er Jahre doch wieder dazu, Japans Kolonialgeschichte weichzuspülen. Aus Angst, manche Schulen als Kunden zu verlieren.

Die Japaner sind zu Recht stolz darauf, dass sie sich nach dem Krieg von einer militaristischen in eine mehrheitlich pazifistisch gestimmte Gesellschaft gewandelt haben. Aber nun, da sie sich wie die Deutschen anschicken, ihre wirtschaftliche Stärke mithilfe eines ständigen Sitzes im UN-Sicherheitsrat auch für internationalen politischen Einfluss geltend zu machen, sehen sie sich mit einer Erfahrung konfrontiert, die die Deutschen schon kennen: Die Vergangenheit vergeht nicht. Sie ist nicht einmal vergangen – am wenigsten für die Völker, die unter Japans Militärregime gelitten haben.

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