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Kultur: Schwänerupfen

Ein paar Federkissen – viel mehr bleibt nicht übrig von dem klassischsten der klassischen Meisterwerke des russischen Balletts: Die Produktion „Swan Lake“ des Von-Krahl-Theaters aus dem estnischen Tallinn, der dem Tanz-Winter im Berliner Hebbel-Theater einen vergnüglichen Höhepunkt bescherte, beschwört alles andere als einen zerbrechlichen Traum auf Spitze. Das muntere Schwänerupfen ist allerdings auch mehr als eine simple Parodie à la Ententeich.

Von Sandra Luzina

Ein paar Federkissen – viel mehr bleibt nicht übrig von dem klassischsten der klassischen Meisterwerke des russischen Balletts: Die Produktion „Swan Lake“ des Von-Krahl-Theaters aus dem estnischen Tallinn, der dem Tanz-Winter im Berliner Hebbel-Theater einen vergnüglichen Höhepunkt bescherte, beschwört alles andere als einen zerbrechlichen Traum auf Spitze. Das muntere Schwänerupfen ist allerdings auch mehr als eine simple Parodie à la Ententeich. Während des Moskauer Putsches – so vermerkt das Programmheft – wurde der Klassiker auf allen russischen Fernsehkanälen gesendet. Regisseur Peeter Jalakas und Choreograf Sasha Pepeljajev untersuchen nun den Zusammenhang von absolut Schönem und totalitärer Gesellschaft, sie denken zusammen, was vermeintlich nicht zusammengehört: das Mythische und das Politische.

„Schwanensee“ gilt ja nicht nur als Inbegriff des romantischen Balletts, der Klassiker formuliert auch ein ästhetisches Ideal, das seine Faszination bis heute kaum eingebüßt hat. Der Traum von der perfekten Schönheit, die (schicksalhaft? naturgemäß?) dem Untergang geweiht ist – was erzählt er über die träumende Gesellschaft? Die Inszenierung verwendet dokumentarisches Filmmaterial aus den fünziger und sechziger Jahren: Ausschnitte aus „Schwanensee“ werden mit turnenden Arbeitern in Propagandafilmen kontrastiert. Das disziplinierte Kollektiv: Die Corps-de-ballet-Szenen in ihrer perfekten Symmetrie lassen keinen Spielraum für Individualität, der Tanz der kleinen Schwäne rattert mechanisch über die Leinwand. Das Ballettmärchen wird so zurückgebunden an die Welt der Produktion. Und auf der Bühne sieht man zu verballhornten Tschaikowsky-Klängen ein Ballett der rollenden Ölfasser.

Die sechs Schwäne, die als bezopfte Schulmädchen in Kniestrümpfen und artigen grauen Kleidchen auftreten, werden von drei Männern herumkommandiert, die ihre Körper schon mal einer Materialprüfung unterziehen. Doch ihr Püppchen-Charme ist trügerisch: So geschmeidig diese Mädchenkörper sind, so stählern ist ihre Konstitution. Ihrem Robot-Tanz ist alle Grazie ausgetrieben worden – das Ballett wird decouvriert als gnadenlose Dressur.

Ideologiekritik der vergnüglichen Art bietet dieser „Swan Lake“, auch wenn einige Szenen sich in Albernheiten versteigen. Witzige Einfälle werden mit rasanten Tanzszenen kombiniert. Das sehr junge Ensemble besticht durch überschäumende Spiellust und mitreißende Energie. Doch Peeter Jalakas versucht sich auch in einer gender-politischen Lesart. Das Ballett zelebriert die Apotheose der Frau, das Von-Krahl-Theater zeigt statt der Verklärung den Drill: Eins der Schwanenmädchen verwandelt sich zum Schluss in eine Kampfmaschine und nietet all seine Schinder um. Am Ende ziehen sich die Männer aus, per Trickfilm werden sie zu Schwänen und fliegen davon. Der umgedrehte Mythos – ein ebenso amüsanter wie hintersinniger Kommentar zur „Schwanensee“-Illusion.

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