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Unterwegs. Martin (Anton Spieker) und Ruby (Victoria Schulz).

© Salzgeber

Schwarz-Weiß-Film "Von Jetzt an kein Zurück": Wer ins Heim kommt, ist ein Nichts

Jugend und Liebe und Repression in den späten 1960er Jahren: Christian Frosch setzt in seinem Schwarzweißfilm „Von jetzt an kein Zurück“ auf klare Kontraste.

Der strenge Vater. Die strenge Frisur der Mutter. Die rauchenden Lehrer. Die Enge der Provinz, der Schatten des Kriegs: Es ist nicht leicht, jung zu sein im Deutschland der sechziger Jahre, trotz Wirtschaftswunder, Minirock und Rock ’n’ Roll. Eine Welt in Schwarz-Weiß: hier der eigene Sturm und Drang, dort die verbitterten Erwachsenen, konservativ, wiederaufbauerschöpft, bigott. Christian Frosch („Weiße Lilien“) hat sich in seiner Kleinstadt-Erzählung „Von jetzt an kein Zurück“ für Schwarz-Weiß entschieden, bis auf den Schluss. Ein Triptychon: ein Coming-of-Age-Drama, eine Heimerziehungs-Horrorstory, schließlich ein Psychotrip in Knallrot und Discokugelbunt.

Ruby (Victoria Schulz) und Martin (Anton Spieker) kennen sich aus der Schule. Eine Teenie-Liebe, sie will Sängerin werden, er dichtet frei nach Rimbaud. Rubys Vater (Ben Becker) kennt nur Drill, Martins Vater (Thorsten Merten) ist depressiv, wegen des Kriegs. Ruby und Martin tanzen nachts am See, probieren eine ménage à trois mit Harry (Tino Hillebrand), dem Jungen aus reichem Hause, hauen ab Richtung Berlin, kommen aber nicht weit. Ruby landet im katholischen Heim bei den Barmherzigen Schwestern, Martin in der protestantischen Arbeitsanstalt Freistatt. Die Eltern unterschreiben kurz, so einfach war das damals.

Hier sadistische Nonnen, dort brutale Aufseher

Der Österreicher und Wahl-Berliner Christian Frosch, Jahrgang 1966, ein Nachzüglerkind mit alten Eltern, wie er selber sagt, recherchierte schon für die Geschichte, bevor es den runden Tisch zu den Heimkindern in der Bundesrepublik gab, vor Peter Wensierskis Buch „Schläge im Namen des Herrn“, auf dem später der TV-Film „Und alle haben geschwiegen“ basierte. Hier sadistische Nonnen, dort brutale Aufseher – sie quälen, misshandeln, missbrauchen die Zöglinge. Im mittleren Teil erliegt der Film der Wucht seiner Täter-Opfer-Szenarien und inszeniert die Gewalt, als sei ihre Darstellung an sich schon der Teufel, mit dem sich der Beelzebub austreiben ließe. „Bambule“, das ebenfalls schwarz-weiße Heimerziehungs-Fernsehspiel von 1970 nach einem Drehbuch der späteren RAF-Terroristin Ulrike Meinhof, bleibt da nüchterner, authentischer.

Wer ins Heim kam, verlor oft Namen und Identität, wurde eine Nummer, ein Nichts. Wohl wahr, aber wenig wahrhaftig: Wenn Ruby und Martin überall nur Monstern und Versagern begegnen, lässt sich ihre Geschichte leicht als zu stereotyp von der Hand weisen. Daran ändert auch der stilistische Ehrgeiz nichts: die sorgfältige Komposition, die Formatwechsel, die Stille, die die Bilder umgibt, die Farbexplosion, die mitunter selbstverliebten formalen Spielereien am Ende.

Ein Abtreibungsversuch mit Drahtbügel. Sexuelle Übergriffe, wieder Gewalt, Einsamkeit, Alkohol. Gut, dass der Film erneut das Schweigen über die Heimkinder bricht. Nicht gut, dass er seine Helden auf den Opferstatus reduziert. Ruby, die alkoholsüchtige Schlagersängerin in den Siebzigern, Martin, der bei der RAF und im Knast landet – sie sind verloren. Ist der Mensch nicht mehr als das Ergebnis seiner Erziehung?

In Berlin in den Kinos Brotfabrik, Central, Filmkunst 66, Kulturbrauerei, Moviemento, Tilsiter Lichtspiele

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