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Kultur: Schwarze Seelen, weiße Weihnacht

Goethe, Brecht und singende Tannenbäume: Auf Berliner Bühnen fanden vier Premieren an einem Abend statt

Männer sind so. Sie leiden Höllenqualen beim Samstags-Shopping im Schlepptau der Partnerin. Sie flüchten in den Heizkeller des Einkaufszentrums. Sie verbessern dort den verschneiten TV-Empfang durch eine selbst gebaute Kleiderbügelantenne nicht wirklich. Sie spachteln Pizza mit Pommes rotweiß. Sie zeigen eigentlich kein Gefühl. Sie kämpfen, wo immer das geht, um den ersten Platz. Sie sitzen auf dem Sofa, das einer von ihnen aus dem oberirdischen Fashion Point in die Katakombe geschafft hat. Sie führen Männergespräche. Über Fußball. Übers Bumsen. Über Arbeit. Sie haben kurze Sätze, stiere Blicke. Sie reden eher nicht. Sie gucken Sport. Wenn sie zu dritt auf einem Sofa die Nacht verbringen, verkriechen sie sich vor Gliedmaßen der anderen, machen sich steif, umarmen fremde Extremitäten, ohne einander wirklich berühren zu wollen. Männer sind traurig. Männer sind komisch.

In Männerhort , der für das Theater am Kurfürstendamm durch Andreas Schmidt mit beliebten TV-Darstellern inszenierten Komödie von Kristof Magnusson, begnügen sich die Herren der Schöpfung allerdings meistens damit, den Kreis der Schenkelklatscher zu bedienen. Eroll (Bastian Pastewka), der Informatiker, ist ein spätpubertäres Riesenbaby mit Lust auf Kitzelorgien. Lars Rudolph (Christoph Maria Herbst), der Banker, gibt den schmierigen Aufschneider so treffsicher, dass Herbsts TV-Figur „Stromberg“ und seine Rampensau-Chuzpe als Absahner politisch-unkorrekter Lacher ineinander übergehen. Helmut (Michael Kessler), der Pilot, sammelt als Klemmi und Alkoholiker Bierbüchsen-Verschlüsse, um mit einer Mega-Nippelkette ins Guiness-Buch zu gelangen.

Mario (Jürgen Tonkel), der Feuerwehrmann, spielt als prolliger Dumpf-Macho den Macker unter den Männern. Das Overacting der Komödianten reduziert ihre Helden auf Comic-Figuren. Dass sie, von der besseren Hälfte vor die Tür gesetzt, prompt zu Frauenverstehern mutieren wollen und mit dem Shopping-Trainings-Rollenspiel beginnen, statt erst mal aufzuatmen, vermittelt sich nicht. Erst im Finale, wenn sich das Quartett als unfruchtbar, arbeitslos, schwul, gehörnt oder weicheiig bittersüße Geheimnisse beichten muss, kommt die Tragik des einsamen Mannes für einen Rühr-Moment zu ihrem Recht.

Abweichend vom Original-Text, der die zwei harten Kerle zu den Röcken zurückkriechen lässt, während die zwei Softies ihr Utopia suchen, setzt Schmidts Inszenierung aufs gemeinsame Happy-End. Die kaputte Glotze springt wieder an, die Gesichter der Asylanten leuchten auf. Im Schein der Kicker-Bilder hat ihr von Bemutterung und Bevormundung entleertes Leben wieder Sinn. Laut Magnusson sagen Männer angeblich am Telefon: „Ich liebe dich vom Feinsten.“ Sie spotten: „Anneliese wird sich nie umbringen, wenn ich nicht zugucke.“ Sie fragen rhetorisch: „Habt ihr schon mal versucht, bei Douglas zu atmen?“ Unterm Strich ist das Stück männerfeindlich, es fackelt allerdings frauenfeindliche Stammtischpointen ab, womit zwei wichtige Zielgruppen befriedigt wären. Menschen sind so (bis 26. Februar).

Ehrgeizzerfressene Journalisten sind nicht unbedingt sympathische Menschen. Kaum sind sie wieder einen kleinen Schritt auf der Karriereleiter emporgeklettert, verwechseln sie den neuen Titel mit ihrer wahren Bedeutung. Freundschaften und Liebschaften früherer Tage werden zügig abgelegt, wie peinlich gewordene Kleider, die zur neuen Würde nicht recht passen wollen. Wenn solche Leute, noch berauscht von der Beförderung, vertraulich werden, lassen sie ihren Allmachtsfantasien freien Lauf: „Glaubst du nicht, dass meine Wochenschrift jetzt eine der ersten in Europa ist?“ Und weil sie ihr Ego am liebsten mit epochenumwälzenden Visionen aufpumpen, müssen die ganz großen Vokabeln herhalten: „Ich muss unter dem Volke noch der Schöpfer des guten Geschmacks werden.“

In der Probebühne des Berliner Ensembl es kann man so einen Tycoon des Pressewesens und Karriere-Intellektuellen („Mir ist’s so wohl, wenn ich den Weg ansehe, den ich zurückgelegt habe“) jetzt recht intim kennen lernen. Er sitzt, aller Kleider und Standeszeichen ledig, in der Badewanne und aalt sich im Selbstgenuss. Es ist Herr Clavigo , der Ort ist keine Villa in Hamburg oder Frankfurt, sondern Madrid, und die Zeit ist nicht die der New Economy, sondern ein Nachmittag im achtzehnten Jahrhundert. Die intimen Einblicke in Clavigos Badewanne verdanken wir einem Autor, der sich auf ähnliche Art ganz nach oben geschrieben hat, Johann Wolfgang von Goethe.

Vielleicht liegt es daran, dass dem Autor Clavigos Aufstiegsstreben nicht ganz fremd war, dass er ihn mit Zuneigung als Menschen mit wahren Herzensregungen zeigt. Clavigo hatte eine Geliebte, er hat ihr die Heirat versprochen und sie, als es opportun schien, fallen gelassen. Jetzt kommt der Bruder der Geliebten, verlangt Rechenschaft und stürzt Clavigo in karrieregefährdende Gefühlsverwirrungen. Das könnte ein spannender Stoff sein, wenn sich Alfred Kirchner, der Regisseur des Abends, für die in ihm lauernden Konfliktkonstellationen interessieren würde. Leider interessiert sich Kirchner eher für die hübsche bis süßliche Oberflächenbebilderung, in der Halbdämmer mit Poesie und Kerzengeflacker mit Dramatik verwechselt wird.

Alexander Doering macht aus Clavigo ein Würstchen, dem man weder eine Karriere als Star-Intellektueller noch größere Gefühle zutraut. So rutschen seine zappelnden Gefühlsausbrüche in die unfreiwillige Komik. Was, außer den Einflüsterungen seines Freundes und Motivationstrainers Carlos (robust: Dirk Ossig) den Sinneswandel vom Liebenden zum Karrieristen auslöst, bleibt rätselhaft. Gitte Reppin als Marie ist von solchen Peinlichkeiten frei, begnügt sich aber in Kirchners Regie damit, die Männerfantasie des jungen, unschuldigen Objekts zu illustrieren. Was dann doch wieder sehr gut zum Funktionieren der Boulevardpresse und der von ihr behaupteten Wirklichkeiten passt (wieder am 5., 6. 12., 20 Uhr) . Peter Laudenbach

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Die Welt ist schlecht, der Kapitalismus zermalmt den Menschen für seine Interessen. In den angeblich goldenen Zwanzigerjahren war das schon genauso wie heute, Bert Brecht und Kurt Weill haben das Thema damals in ihrem Mahagonny-Songspiel durchbuchstabiert. Zur Eröffnung der Jüdischen Kulturtage lässt Dominique Horwitz die Revue in einem Boxring spielen, wie einst bei der Uraufführung in Baden-Baden 1927, diesmal in einem Spiegelzelt auf dem Hof der Neuen Synagoge (Oranienburger Str. 31, Mitte) .

Das Songspiel scheint dem Schauspieler bei seinem Regiedebüt etwas zu mager für eine abendfüllende Veranstaltung zu sein, deshalb hat er einige Songs aus „Happy End“ dazugetan und eine Rahmenhandlung drumrum erfunden. Brecht war vom Boxkampf fasziniert, also zelebrieren einige junge Kickboxer ihr Können, eine nette und harmlose Idee. Thomas Thieme gibt den Conferencier. Er spielt ein bisschen „Publikum schockieren“ und kündigt die Ankunft eines Busses mit Gästen aus Sachsenhausen an. Doch wenn wenig später ein etwas groß geratener Hitlerjunge nach einer „Judensau“ sucht, will sich der Grusel nicht recht einstellen. Allzu unbeholfen, unverbunden und entschieden nicht zu Ende geprobt wirkt das Spiel.

Der Abend findet seinen Rhythmus nicht, auch wenn Hans Rotmann das Quillo Ensemble recht schmissig durch die Partitur führt. Doch die Songs erweisen sich als unzerstörbar, besonders wenn Tamara Stern ihren optimistischen Agitationston melancholisch verschattet. Beinahe unbeachtet am Rande des Geschehens gelingen ihr anrührende Momente, die dem Stück plötzlich Tiefe geben (wieder am 29. 11. um 21, am 30. 11. um 18 u. 21 Uhr) . Uwe Friedrich

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Die Vorweihnachtszeit verweht in wundersamen Ritualen. Unternehmen, die werte Kunden nicht verlieren wollen, verschicken jetzt Kugelschreiber und Kalender. Es flattern Kartenwünsche für friedliche Festtage ins Haus, die von vor Hast zitternden Händen unterschrieben sind. Und dann drohen da noch die betrieblichen Weihnachtsfeiern mit ihren hilflosen Versuchen, wenigstens einmal im Jahr gute Stimmung ins Haus zu bringen. Oder finden Sie es komisch, wenn im Dienst ergrautes Personal vor als Santa Klaus verkleideten Studenten ein Gedicht aufsagen muss, um ein Lebkuchenherz mit Firmenlogo zu erhaschen?

Wenn Sie diese Frage mit nein beantworten können, dann versuchen Sie noch schnell die lieben Kollegen zu einem Feierabend im Tipi zu überreden. Denn dort führen nicht Heinzelmänner Regie, sondern die putzmuntere Gayle Tufts . Sie verspricht amerikanische Weihnachten – ganz ohne Kitsch. Und entwickelt aus dieser aussichtslosen Position tatsächlich genügend Spannkraft für einen Abend White Christmas! , der funkelt, ohne zu hektisch zu blinken. Frau Tufts weiß, wie echter Weihnachtsterror aussehen kann, etwa bei ihrer Familie back home in Brockton, Massachusetts. Dort gab es zum Fest gerne Truthahn, Tranquilizer und Tränen. Nichts davon hat im Zelt am Kanzleramt eine Chance. Tufts regiert das Universum ihrer weihnachtlichen Bühnenwohnung mit jubelnder Stimme, erwachsener Vorfreude und jener sanften Ironie, die darum weiß, wie schnell der Spaß vorbei sein kann. Dabei weichen ihr vier heitere Freunde „all singing, all dancing“ nicht von der Seite, während die Musiker der „Jingletones“ lässig um den Christbaum rocken. Bald sehen alle Mitwirkenden selbst wie Geschenke aus, und Schnee rieselt von der Decke. „Fucking niedlich“, das Ganze (bis 26. Dezember) . Ulrich Amling

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