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Kultur: Schwarzes Gold

Beim Northern Soul dreht sich alles um die Single. Marc Forrest sucht letzte unbekannte Exemplare

Für Marc Forrest begann es auf dem Adenauerplatz. Man schrieb das Orwell-Jahr 1984, und seine Breakdance-Phase hatte er gerade hinter sich gelassen. Auf dem „Adi“ trafen sich jeden Samstagabend an die 150 Jugendliche, die auf Vespas herumlungerten. Danach ging man noch zu irgendeiner Privatparty, denn in den Discos lief nur, was jeder hörte: Mainstream. Die Clique vom „Adi“ hörte lieber alte, kaum bekannte Musik: Beat der Sechzigerjahre.

Eine Minderheit tanzte in alternativen Läden wie dem Biergarten Siegmundshof am S-Bahnhof Tiergarten oder dem Blockshock am Südstern schon zu schwarzer Musik jenseits der Charts. Marc Forrest war einer der wenigen, die ihr gesamtes Taschengeld für Platten opferten. „Damals habe ich noch LPs aufgelegt, die ich in Plastiktüten transportiert habe“, amüsiert sich Forrest heute.

Mittlerweile arbeitet der 1970 geborene Wilmersdorfer als Werbekaufmann. Seinem Stadtteil und seiner Liebe zu den Platten ist er bis heute treu geblieben. Plastiktüten kommen allerdings nicht mehr in Frage: Seine Sammlung von rund 5000 Soul-Singles ist sorgsam in Holzkästen verstaut. Sie gehören zu den größten Kostbarkeiten, die man im Archiv der Popkultur finden kann.

Es sind Platten, die Schwarze in den USA seit Anfang der Sechziger auf ihren ersten, eigenen Labeln aufnahmen. In treibenden Rhythmen und fordernden Texten sangen sie von Nöten und Freuden der Großstadtjugend. So beklagte Bobbi Lynn in ihrem Lied „Opportunity Street“, dass sie im falschen Block geboren wurde, wo die Armut herrscht – während ein paar Straßen weiter reiche Kinder spielen. Wegen ihrer kleinen Auflagen sind diese Lieder heute sehr selten, Fans kaufen weltweit bei spezialisierten Händlern. Jimmy Rays Tanzstück „Philly Dog Around The World“, ein 2,5-Minutenstück mit treibenden Bläsersätzen und dem typischen dumpf stampfenden Rythm&Blues-Rhythmus, kostet etwa zwischen 250 und 500 Pfund, andere Platten sind drei Mal so teuer.

Der Kult um die seltenen Scheiben hat eine lange Tradition. Als Mitte der Sechzigerjahre die Klänge psychedelischer und die Haare länger wurden, begannen Arbeiterkinder in Nordengland, sich gegen den Zeitgeist die Haare kurz zu schneiden. Die so genannten „Suedeheads“ hörten schwarze und jamaikanische Musik. Der Londoner DJ Dave Gordin hörte diese raue amerikanische Musik erstmals im Twisted Wheel in Manchester und nannte sie im „Blues&Soul Magazine“ „Northern Soul“.

Heute pilgern die Fans durch Europa, um DJs zu hören, die unbekannte Platten spielen: zum „La Pella Nera“-Club in Rimini, nach Göteborg oder nach Frankfurt am Main zum „Up Tight“. In Berlin gibt es – dank Ebay – mittlerweile mehr Soul-DJs als früher, etwa beim monatlichen „Allnighter“ im Roten Salon. Nirgends aber hört man so ausgesuchte Gäste wie alle zwei Monate in Forrests Hip-City-Club.

DJ Butch vom Londoner 100 Club, der am Wochenende zu Gast ist, gilt als führende Autorität und verfügt über ein schier unerschöpfliches Archiv. Das ist auch nötig, denn auf Soul-Parties werden grundsätzlich nur Originale aufgelegt. Bei ganz seltenen Exemplaren überkleben die DJs das Label-Etikett, damit kein Konkurrent herausfindet, um welche Platte es sich handelt: „Cover-Up“, nennt man dieses Verfahren.

Gefeiert wird auf speziellen Parties, den „Allnightern“, die früher von Mitternacht bis ins Morgengrauen dauerten. Früher trank man dort Matetee, um wach zu bleiben und streute Talkum auf das Parkett – damit die Sohlen besser rutschen. Im Hip-City-Club, der nach dem Vorbild englischer Soul-Clubs im holzgetäfelten Hinterzimmer des Oscar-Wilde- Pubs in Mitte residiert, trifft man bis zu 150 Fans an. Ob man im Anzug oder im schlichten Karohemd erscheint, ist dabei egal. Nur die Schuhe sollten flach und glatt sein, damit man den typischen „Footsie“ tanzen kann, ein schlitterndes Seitwärtsgleiten.

Am Samstag werden sie aus Dessau, Stockholm, Offenbach und London kommen, um den 14. Geburtstag des zweitältesten Soul-Clubs in Europa und dessen Gastgeber Marc Forrest zu feiern. Und wenn „Dr. Truelove“ auf dem Plattenteller rotiert, wird es die meisten aus den Sitzen reißen und auf das Parkett der kleinen Tanzfläche ziehen. Dann geht es nicht um Sammlerstolz oder Tradition, sondern nur noch um die Kraft einer Musik, bei der einem das Herz aufgeht. Oder wie es Marc Forrest sagt: „Wer da sitzen bleibt, hat kein Blut in den Adern.“

Aus dem Plattenkoffer von Marc Forrest:

1. Little Stanley: Outa Site-Lonn (Vang)

2. Dewey Black: Takin’ Love ... (Reeflair)

3. Jimmy Ray: Philly Dog Around The World (KKC)

4. Little Harold & The Fab. Nomads: Baby Just A Little More (Soul Damon)

5. Sparkles: Try Love (Old Town)

6. Fantastics: Goodbye To Love (DMD)

7. Paramaounts: Won’t Share Love (Mercury)

8. James Poke (C/Up)

9. Lonnie Russ: Say Girl (Kerwood)

10. Sugar Lumps: Won’t You Help Me (Uptown)

TERMIN:

10.7. Oscar-Wilde-Pub, Friedrichstr. 112a (Mitte), 22 Uhr . (4€)

DJs: u.a. Butch , Franz, M.Rank. Die ersten 50 Gäste erhaltenein Tape .

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