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Kultur: Schwedische Sardinen

Traumkulisse: Giuseppe Verdis „Maskenball“ vor dem Schweriner Schloss

Was ist der Unterschied zwischen der New Yorker Metropolitan Opera und einem Freiluft-Festival in Norddeutschland? In der Met trifft einen die Kälte unvorbereitet. Weil die Amerikaner ihren Nationalstolz zu einem nicht geringen Teil aus der Leistungsfähigkeit ihrer Klimaanlagen ziehen, fühlen sich Besucher aus old europe im Lincoln Center schon nach wenigen Minuten schockgefrostet. Wer dagegen ein Ticket für die Schweriner Schlossfestspiele erwirbt, der weiß, worauf er sich einlässt. Und darum rücken sie an mit Hut, Decke und Thermoskanne, holen die Daunenjacken aus dem Schrank und die Trekkingschuhe unterm Bett hervor, wenn sie sich zum „Maskenball“ rüsten. „Da mag der Wind auch noch so blasen – die gehen einfach nicht weg“, wundert sich selbst der Schweriner Generalmusikdirektor Matthias Foremny. „Dabei wird sogar mir schon kalt. Und ich darf mich während der Vorstellung die ganze Zeit bewegen.“

2500 Plätze bietet das vom Theater ausgerichtete Festival jeden Abend an, einen ganzen Monat lang. Das macht, wenn alles wieder so gut läuft wie in den vergangenen Jahren, 50 000 Opernbesucher extra zwischen Mitte Juni und Mitte Juli. Ein nicht zu verachtender Schub für die lokale Wirtschaft geht von den Festspielen aus, wenn die Besucher vor Vorstellungsbeginn durch die Geschäfte der Altstadt bummeln, wenn sie hier essen gehen und nach der Aufführung, die um 21 Uhr beginnt und gegen Mitternacht endet, ihr Haupt auf ein weiches Kissen betten wollen.

Eine Wohltat auch für die Theaterstatistik: Dank des Publikumsmagneten Schlossfestspiele kann das Schweriner Fünf-Sparten-Haus mit der drittbesten Platzauslastung in der Bundesrepublik prunken. Nur das Münchner Nationaltheater und die Dresdner Semperoper haben noch bessere Zahlen. Dass die Landesregierung zu den Nachbarn des Theaters gehört, wirkt sich zusätzlich positiv aus: Allabendlich flutet der Strom der Festspielbesucher direkt unter den Fenstern der staatlichen Geldgeber vorbei. Auch das ist eine Form kulturpolitischer Lobbyarbeit.

Matthias Formeny, der vor einer Saison von der Komischen Oper als künstlerischer Leiter nach Schwerin berufen wurde, hat seine anfängliche Skepsis gegen das Opern-Air-Spektakel darum auch längst abgelegt. Verdis „Maskenball“ ist Chefsache, Foremny dirigiert die meisten Vorstellungen selber. Sicher, Schwerin ist nicht Verona. Eine natürliche Akustik wie in der berühmten Arena gibt es auf dem Schlossplatz nicht. Darum müssen sich die Sänger Mikroports am Kopf befestigen lassen, wie sie sonst nur Musical-Darsteller tragen. So eine Lautsprecheranlage wie die Bregenzer Festspiele, die auf ihrer Seebühne feinsten HiFi-Sound bieten, kann man sich in Schwerin allerdings auch wiederum nicht leisten: Die Stimmen sind sehr präsent, das unter der Spielfläche platzierte Orchester allerdings klingt ein wenig blechern, wie aus seinem alten Rundfunkapparat.

Doch die grandiose Kulisse entschädigt für vieles: „Seine heutige Pracht haben wir der wechselvollen Geschichte des Landes und ihren unterschiedlichen Stilrichtungen zu verdanken“, heißt es im Stadtprospekt über das Schweriner Schloss. Man könnte auch sagen: Es sieht aus wie von Walt Disney entworfen. Überkandidelte Pseudorenaissance, mit unzähligen Erkern, Zinnen und Giebeln, und als Krönung einer mit Blattgold überzogene Turmhaube, die auch dann noch zu glimmen scheint, wenn sich die blaue Stunde längst über die Stadt und den Burgsee gesenkt hat.

Ein Juwel des Klassizismus ist dagegen das Museum der mecklenburgischen Kapitale, wohlproportioniert, mit eleganter Freitreppe und schlanken Säulen. In diesem Jahr hat Bühnenbildner Lutz Kreisel die Zuschauertribüne so platziert, dass beide Sehenswürdigkeiten in der Inszenierung mitspielen können: Im Schloss residiert Gustav III., König von Schweden, das Museum wurde kurzerhand zum Riksdag, also zum Parlamentsgebäude umfunktioniert. Dazwischen leuchtet der See. Dass Verdis Oper in Skandinavien spielt, passt gut zu den Temperaturen dieses Sommers. Die Musik ist heiß, so wie sie Foremny seinem hochmotivierten Orchester entlockt, mit scharf akzentuierten Rhythmen als treibender Kraft und leidenschaftlich aufflammenden Melodien. Die Zuschauer aber kauern frierend dicht an dicht auf den Plastikstühlen: wie schwedische Sardinen.

150 Darsteller schickt Regisseur Bernd Reiner Krieger für die Massenszenen auf die Spielfläche. Es gibt ein paar gut gearbeitete Details in der Personenführung, doch interpretatorisch ist bei so einem Event nicht viel mehr als solider Realismus drin. Wer von den drei alternierenden Besetzungen jene mit José Azocar und Tatiana Chivkova erwischt, braucht sich deswegen aber nicht zu grämen: Der Tenor erzählt mit seiner sinnlich leuchtenden, klug geführten Stimme alles, was seine rudernden Hände verschweigen. Und die Bulgarin hat genau jenen Punkt in ihrer Karriere erreicht, wo sich Bühnenerfahrung und ein im dramatischen Fach gereifter Spinto-Sopran zu anrührender Glaubwürdigkeit vereinen. Regina Mauel hat die geforderten sehr tiefen Töne für die Wahrsagerin Ulrica (allerdings auch nur noch diese). So engagiert die ganze Truppe auch agiert – um den langen, kalten Abend in Novomecklemburgowsk durchzustehen, muss man schon ein alter Schwede sein.Noch bis 18. Juli. Infos: 0385 / 53 00 123

oder www.theater-schwerin.de

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