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Kultur: Schwermatrose

Zum Tod des Dichters Johannes Schenk

Von Gregor Dotzauer

Er hatte bis zuletzt seinen Koffer in Berlin – auch wenn er in den Sommerwochen einen Zirkuswagen in Worpswede bewohnte oder in Gedanken die Weltmeere kreuzte. Der lederne Überseekoffer mit den von ihm exakt ermittelten Maßen von 1,06 Metern Breite, 59 Zentimetern Tiefe und 50 Zentimetern Höhe und Manuskripten aus 35 Jahren war Johannes Schenks wertvollster Besitz. Dass er ihn schon 1998 der Akademie der Künste überlassen hatte, hinderte ihn nicht daran, ihm einzelne Texte wieder zu entnehmen oder hinzuzufügen: So hatte er es sich ausbedungen.

Schenk, 1941 in Berlin geboren, heuerte mit 14 Jahren auf einem Frachtschiff an und fuhr anschließend sechs Jahre lang zur See. Er arbeitete als Takler und Schiffsreparierer und nach seiner Rückkehr nach Berlin als Universaltalent. Ob als Buchhändler, Gärtner, Tellerwäscher, Steineleger oder Bühnenarbeiter – es gibt kaum etwas, womit er nicht seinen Lebensunterhalt verdient hätte.

Seine Berufung aber war das Dichten in freien Versen: am Anfang lautstark als Agitprop-Künstler, der sich mit einer libertären „Genossin Utopie“, wie ein Wagenbach-Quartheft von 1973 hieß, im Bunde fühlte, mit den Jahren krachbunt und strotzend vor Sinnlichkeit: als zirzensischer Luft- und Wassergeist, dem ab Windstärke acht erst wohl ums Herz wurde. Johannes Schenk hatte, wie er die Titel seiner beiden letzten Gedichtbände im Selbstverlag wissen ließ, immer „Salz in der Jackentasche“ – und ein „Galionsgesicht“ ohnehin. Das Meer war sein Zuhause und das Maritime die Generalmetapher dieses Schwermatrosen aus einem alkoholgeschwängerten Kreuzberger Hydrotop, das Ende der fünfziger Jahre mit Schriftstellergestalten wie Günter Bruno Fuchs und Robert Wolfgang Schnell als Berliner Montmartre erstand und Ende der sechziger Jahre allmählich unterging. Mit dem Kreuzberger Straßentheater, das Schenk 1969 zusammen mit seiner Lebensgefährtin, der Malerin Natascha Ungeheuer gründete, mündete er schon ein ins linksalternative Milieu der Siebziger. Am Montag hat Schenk seine letzte Reise angetreten.

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