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Kultur: Schwert oder Feder

Christiane Peitz schickt Freigeister in die Deutsche Oper

Die Kunst hat es nicht leicht in diesen Tagen. Die Literatur darf nicht einfach gute Literatur sein, die Schriftsteller sind angehalten, sich in die Politik einzumischen. Vom Kino möchte das Publikum, dass es unterhaltsam und sozialkritisch sein möge, vom Theater, dass es Schauplatz ist für Macht-, Geschlechter- und andere akute Kämpfe. Und die gute alte Oper soll bitte endlich in der Gegenwart ankommen. Aber wenn sie es tut, wenn die Kunst wie gewünscht die Gemüter erregt, gibt es Ärger. Siehe „Idomeneo“.

Aufmerksamkeit tut gut, sie ist aber auch prekär. Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk spricht vom Glück und von der politischen Last, die die Auszeichnung für ihn bedeutet. Und wenn heute Abend in der vom „Idomeneo“-Fall gebeutelten Deutschen Oper Berlin Alberto Franchettis „Germania“ Premiere feiert, sieht sich Regisseurin und Intendantin Kirsten Harms einem ungeheuren Erwartungsdruck ausgesetzt. Nicht nur, weil nach ihrer mit Programmaltlasten befrachteten Amtsübernahme vor zwei Jahren die erste Saison beginnt, die sie vollständig selbst verantwortet. Nicht nur, weil die Opernstiftungsfrage, sprich: die künftige Finanzierung der drei Musiktheater nach dem baldigen Ende der Berliner Koalitionsverhandlungen ganz oben auf der Agenda steht. Sondern auch wegen der Schlagzeilen und der harschen Kritik, die Kirsten Harms zuletzt einstecken musste, weil sie Hans Neuenfels’ religionskritische „Idomeneo“-Inszenierung aus Angst vor islamistischen Übergriffen abgesetzt hatte.

Die Kunst ist frei. Frei von solchem Druck ist ihre Wahrnehmung nicht. Da hilft nur die Selbstbefreiung. Wenn sich der Vorhang hebt, wenn die ersten Takte erklingen, das erste Szenenbild zu sehen ist, der erste Sänger seine Stimme erhebt, spielen Kulturpolitik, Religionsstreit und Programmfragen keine Rolle mehr. Sie dürfen keine Rolle mehr spielen. Was dann einzig zählt, ist die Fantasie der Regie, die Schönheit des Gesangs, die Kühnheit der Musik.

„Germania“ spielt im Jahr 1806, in der Umgebung von Nürnberg. Es geht um Krieg, Vaterlandsliebe und Menschenrechte, um französische Besatzer und deutsche Studenten, Aufständler und Tugendbündler. Der Studentenführer, ein Idealist namens Worms, ergreift im Streit um die Mittel im Kampf für die Freiheit das Wort: „Ich warf das Schwert von mir und nahm die Feder in die Hand: Daraus mache ich eine Waffe, wie schon Lessing, und schreibe damit das kommende Schicksal unseres Vaterlandes herbei.“

Das Schicksal der Kunst entscheidet sich an ihrem Spielraum, daran, ob das Publikum ihr den Freibrief ausstellt. Nur wenn sie sich nicht schert um das Tagesgeschäft, trifft sie mitten hinein. Heute Abend in der Bismarckstraße.

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