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Kultur: Schwerter aus Glas

Raue Eleganz: das neue Verwaltungsgebäude des Sozialverbandes am Berliner Rolandufer

Die Gegend rund um die Jannowitzbrücke gehörte bisher nicht gerade zu den aufregenden Architekturschauplätzen Berlins. Doch das ändert sich jetzt. Mit vielen Vorschusslorbeeren versehen wurde bereits die neue Niederländische Botschaft von Rem Koolhaas – noch wird eifrig auf deren Baustelle gewerkelt. Als ebenso ungewöhnlich erweist sich der Neubau für die Verwaltung des Sozialverbandes Deutschland, der ein kleines Stück spreeaufwärts ebenfalls am Rolandufer entstanden ist. Der rund 500000 Mitglieder starke Sozialverband, der aus dem 1917 gegründeten Reichsbund hervorgegangen ist, versteht sich als Interessensvertretung von Rentnern sowie behinderter und chronisch kranker Menschen.

Entworfen wurde der neue Solitär von den Berliner Architekten Hilde Léon, Konrad Wohlhage und Siegfried Wernik, die mit der Bremer Landesvertretung und der Indischen Botschaft bereits die hohe Qualität ihrer Raumkunstwerke unter Beweis gestellt haben. Die beiden Bauten am Rand des Tiergartens zeichnet eine rote Fassade aus; der neue Verwaltungsbau am Spreeufer weist eine ganz andere Farbmischung auf: Schwarze Betonfertigteile, die über die gläserne Sockelzone auskragen und in den Straßenraum ausgreifen, bilden zusammen mit dem zurückspringenden silbrig schimmernden Aufsatz aus Metallgitterpaneelen in den oberen Geschossen den Grunddualismus des Hauses. Als Besonderheit kommen farbige Glasschwerter hinzu, die die schalldämmenden Kastenfenster vertikal gliedern und deren Farben von gelb über blau bis zu grün reichen. Über den Fugenschnitt der Betonelemente besitzt die Fassade eine nahezu grafische Gestaltung. Die bündig sitzenden Fenster sind kunstvoll darin eingepasst und unterstreichen den skulpturalen Charakter des Gebäudes.

Es ist ein gleichermaßen elegantes wie raues Haus, das dem Verkehrsknotenpunkt an der Stralauer Straße einen markanten Akzent verleiht. Ein Eye-catcher mit differenzierter Farbwirkung. Das liegt nicht allein an den farbig schimmernden Glasschwertern, die auch im Inneren des Hauses durch bunte Lichtreflexe auf Wand und Boden ihre Wirkung entfalten, sondern nicht zuletzt der wandlungsfähigen Wirkung des Betons. Seine raue Oberfläche und die schwarze Farbe verdankt er Lavabrocken und Ruß, die als Zuschlagstoffe Verwendung fanden. Und je nach Sonnenstand nimmt die schwarze Fassade das Licht mal mehr, mal weniger auf oder reflektiert es, so dass für einen steten Wandel im Fassadenbild gesorgt ist.

Im Erdgeschoss finden neben dem Foyer künftig ein Restaurant und eine Ausstellungsfläche Platz. Ein hoher Lichthof gleich am Haupttreppenhaus sorgt für eine vertikale Verknüpfung der Geschosse. In den Büroetagen legt sich jeweils ein Flur um einen zentralen Versorgungskern mit Fluchttreppenhaus und Fahrstühlen, so dass alle Arbeitsräume zu den Straßen hin ausgerichtet sind. Und da die Bürowände zum Flur zudem über große Oberlichter verfügen, ist für viel Transparenz gesorgt. An einzelnen Stellen im Haus wird das regelmäßige Büroraster unterbrochen, der Flur weitet sich zum Archiv oder Aufenthaltsbereich. Schade ist allerdings, dass der helle Sichtbeton der Decken und Wände allein den Fluren vorbehalten blieb, während die Büros weiß gestrichen wurden.

Die oberen Geschosse werden gesondert erschlossen und sind einzelnen Apartments vorbehalten. Ein kleiner offener Dachgarten gegenüber den Fahrstühlen sorgt auch hier für natürliches Licht. In den oberen Geschossen haben Léon, Wohlhage und Wernik der Fassade zudem eine Haut aus silbrigem Metallgitter vorgeblendet. Die Gitter können von Hand aufgeklappt werden und sorgen für ein zusätzliches, individuelles Fassadenrelief. Umgeben von einem kleinen Park zwischen Stralauer Straße und Spree, den das Berliner Büro „ST raum a“ gestaltet hat, bildet das Haus des Sozialverbandes künftig zusammen mit der Niederländischen Botschaft einen avantgardistischen Architektur-Zweiklang am Spreeufer, wie er in der Hauptstadt sonst kaum zu finden ist.

Jürgen Tietz

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