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Kultur: Schwingen und stapeln

Was die Statik zulässt: Eine Berliner Ausstellung feiert das Architekturbüro Graft

Sie sind derzeit die Lieblinge der Berliner Architekturszene: Graft. Und das zu Recht. Denn an die Stelle schwermütig steinerner Strenge setzen Lars Krückeberg, Wolfram Putz, Thomas Willemeit und Gregor Hoheisel mit ihren Entwürfen eine atemberaubende Dynamik. Dabei ist ihr Name Programm: Grafting beschreibt die Veredlung von Gewächsen durch das Aufpfropfen von Trieben anderer Pflanzen. Genauso will Grafts Architektur unterschiedliche kulturelle Einflüsse zu neuen Raumgestaltungen vereinen. Globalisierung als Lustfaktor.

Egal ob Einfamilienhaus, Innenraumgestaltung oder Waschbecken – Grafts Projekte wirken, als kämen sie frisch aus dem Windkanal, so aerodynamisch schwingen sie sich auf und ab, fälteln sich oder werden gestapelt. Kein Wunder also, dass die biomorphe Architekturplastik in leuchtendem Weiß, mit der Graft die Berliner Galerie Aedes am Pfefferberg derzeit bespielt, schnell einer fürsorglichen Belagerung ausgesetzt war. Wer im dichten Gewühl der Ausstellungseröffnung einen Platz fand, der ließ sich auf diesem einladenden Architekturmöbel nieder, um die seltsam kleinformatigen Modelle der Graft-Entwürfe auf sich wirken zu lassen oder per Touchscreen durch ihre Projekte zu zappen, umflimmert vom blauen Leuchten der Dioden jener 18 Computer, die den technischen Auftritt gespeichert haben.

Sowohl der Besucheransturm als auch die sofortige Inbesitznahme ihrer Installation sind symptomatisch für Graft. Verstehen es die Architekten doch, ihren Projekten einerseits einen showartigen Glamour zu verleihen und andererseits die sinnliche Note bei ihren Entwürfen nicht zu vergessen. Und das ist bei der Alltagsarchitektur „Made in Germany“ sonst häufig Mangelware.

Natürlich zehren Graft dabei vom publikumswirksamen Namen eines ihrer ersten Bauherren, Brad Pitt. Doch wenn ihre Architektur nicht auch wirklich Hollywood und Las Vegas atmen würde, dann hätte diese Eintrittskarte in die Architekturwelt längst ihre Haltbarkeit eingebüßt. Verstehen es Graft doch, ihren architektonischen Auftritten den nötigen Witz zu verleihen, beim Dachausbau ebenso wie bei einer Zahnarztpraxis oder im Hotel Q am Kurfürstendamm. Gebaut wird, was der Kunde will, der Computer hergibt und die Statik zulässt. Und das mit stolzen 45 Mitarbeitern in inzwischen drei Büros in Los Angeles, Berlin und Peking.

Bei ihrem Start in den USA haben Graft gelernt, ihre Bauten wie einen Film zu inszenieren. Ganz bewusst wollen sie dabei „das Ungewohnte denken und entwerfen“, den Nutzer ihrer Bauten überraschen. Architektur als Showbusiness. Also alles nur Showarchitektur? Damit würde man Graft nicht gerecht werden. Ein paar mehr von Grafts geschwungenen Formen würden dem Berliner Stadtbild nicht schaden – es müssen ja nicht gleich ihre Hochhäuser sein, die nicht nur weltgewandt wirken, sondern auch ein bisschen wie Allerweltsentwürfe. Gerade werden ihre ersten beiden Türme in Las Vegas fertiggestellt, weitere in den USA und China sollen folgen. Ganz dringend muss Berlin über Grafts Kunstwolke diskutieren, mit der sie die künftige Palast-Brache auf dem Schlossplatz besetzen wollen – zumindest temporär. Der Entwurf für diese Kunsthalle mäandert irgendwo zwischen Star-Treck-Design und Kongresshallenschwung.

Aedes Pfefferberg, Christinenstraße 18-19, bis 1. März, Di–Fr 11–18.30, Sa/So 13–17 Uhr, Katalog 10 €.

Jürgen Tietz

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