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Camp und witzig. Starschnitt der New Yorker Band Village People aus der „Bravo“.

© Kitty Kleist-Heinrich

Schwule und Lesben:: Termin bei Doktor Sommer

„Aufklärung und Aufregung“: Das Schwule Museum in Kreuzberg blättert durch 50 „Bravo“-Jahre.

Als Barack Obama sich kürzlich für die Homo-Ehe aussprach, bekam er großen Zuspruch aus der Popwelt. Ob Lady Gaga, Jay-Z, Justin Timberlake oder Cindy Lauper – alle äußerten sich hoch erfreut und stolz über den US-Präsidenten, der gerade in den Wahlkampf startete.

So aufgeschlossen waren die Stars nicht immer. Das möglicherweise karrieregefährdende Thema Homosexualität wurde bis in die achtziger Jahre meist völlig ausgeblendet. Wie weit der Weg zu einer schwulen- und lesbenfreundlichen Szene war, zeigt die Ausstellung „Aufklärung und Aufregung – 50 Jahre Schwule und Lesben in der Bravo“, die derzeit im Schwulen Museum zu sehen ist. Als Mainstream- Medium für Jugendliche spiegelt das Magazin seit 1956 das jeweilige gesellschaftliche Klima recht genau wider. So vermeidet die Reaktion in ihrer Pop- und Filmberichterstattung zwei Jahrzehnte lang jegliche Erwähnung gleichgeschlechtlicher Orientierung. Zwar zeigt sie Stars wie Rock Hudson, Rex Gildo oder Jürgen Markus regelmäßig auf der Titelseite – über deren Schwulsein berichtet sie aber nie.

Ihr Coming-out in Sachen Homo-Themen hat die „Bravo“ auf ihren Musikseiten erst 1976. Damals sang Bernd Clüver das Rubettes-Cover „Mike und sein Freund“, in dem ein Paar vom Vater des einen Mannes so massiv bedroht wird, dass es schließlich Selbstmord begeht. Der Song löst einen kleinen Schlager-Skandal aus. Radio- und Fernsehstationen boykottieren das Stück. Die „Bravo“ schlägt sich jedoch auf Clüvers Seite und schreibt: „Immer wird den deutschen Schlagertextern vorgeworfen, sie würden nur seichte Liedchen liefern. Wenn sie mal ein echtes Problem aufgreifen, ist es auch nicht recht.“

Auf ihren Aufklärungsseiten hat die „Bravo“ schon früher mit Fragen zur gleichgeschlechtlichen Liebe zu tun, die sie in Form von Leserzuschriften erreichen. Bis 1969 gab es zudem etwa 30 Beiträge zu Homo-Themen, wie die von Erwin In Het Panhuis kuratierte Ausstellung zeigt, für die rund 2700 Ausgaben des Magazins ausgewertet wurden. Tafeln in „Bravo“-bunten Farben zeichnen die Entwicklung der größten deutschen Jugendzeitschrift mit vielen Ausschnitten und erklärenden Texten nach. Dazu kommen einige zeitgenössische Dokumente, Originalzuschriften und Pappaufsteller mit den beliebten Starschnitten, wobei hier von den Village People über Kajagoogoo-Sänger Limahl bis hin zu Casting-Show-Sternchen Daniel Küblböck nur Männer vertreten sind. Was wohl darauf zurückzuführen ist, dass es weit weniger offen lesbische als schwule Popstars gibt und deshalb in der „Bravo“ nur gelegentlich einmal Sängerinnen wie Skin von Skunk Anansie vorkommen.

Bei den Zuschriften und den Aufklärungstexten ist die Lage ausgeglichener. Hier schütten Mädchen wie Jungen ihr Herz aus. Auf gelbem Linienpapier schreiben etwa zwei Mädchen, 13 und 14 Jahre alt, in unsicherer Handschrift, dass sie sich gerne gegenseitig auf dem Bett abtasten und dabei „ganz tolle Gefühle“ bekommen. Wie die meisten anderen Jugendlichen, die ähnliche Briefe an die „Bravo“ schreiben, fragen sie sich: Sind wir lesbisch beziehungsweise schwul? Der 15-jährige Holk schiebt noch hinterher: „Wenn ja, wie komme ich davon los?“

Zwischen 1964 und 1969 antwortete die Schriftstellerin Marie Louise Fischer unter dem Pseudonym „Dr. Christoph Vollmer“ mit meist strengen Worten auf die verzweifelten Anfragen. So bescheinigt sie Frauen, die keine Liebesbeziehungen zu Männern haben wollen „eine seelische Störung“ und tut Gefühle für Menschen des gleichen Geschlechtes generell als Zeichen von Unreife ab. Angestoßen durch die sexuelle Revolution der 68er und die Entschärfung des Paragrafen 175 ändert sich auch in der „Bravo“ der Ton, er wird liberaler und lockerer. Für diese Zeitenwende steht der Psychotherapeut und Religionslehrer Martin Goldstein. Unter dem Namen „Dr. Jochen Sommer“ beantwortete er bis 1984 die Fragen der Leserinnen und Leser. Noch heute steht das Pseudonym über den „Bravo“-Aufklärungsseiten, für die inzwischen ein ganzes Ärzteteam arbeitet.

Obwohl die Arbeit von Goldstein/Sommer in der Kreuzberger Ausstellung eine prominente Rolle spielt, wird der 1927 als Sohn eines jüdischen Vaters und einer protestantischen Mutter geborene Arzt nur relativ knapp porträtiert. Über den Mann, der im Monat 3000 Briefe bekam, wüsste man gern mehr. So ist es auch bedauerlich, dass es von einem Fernsehinterview, das er vor zwei Jahren gab, nur Fotos und keine Ausschnitte zu sehen gibt. Denn in dem Gespräch geht es um die Hintergründe eines aus heutiger Sicht absurden Aufruhrs: Goldstein beschreibt 1972 unter seinem zweiten Decknamen „Dr. Alexander Korff“, wie der zwölfjährig Udo und ein Freund sich selbst befriedigen. Der Text führt zur Indizierung der „Bravo“ durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, die die Darstellung als „Desintegration der Sexualität in die gesamtmenschliche Persönlichkeit und damit als sozial-ethisch begriffsverwirrend“ ansieht. Dabei hatte Dr. Korff nur eine Geschichte erzählt, die er selbst erlebt hatte. Er war Udo.

Martin Goldstein bleibt bis 1984 bei der „Bravo“. Ab Ende der Achtziger machen seine Nachfolger „uneingeschränkt Mut zur Homosexualität“, so die Ausstellungsmacher, die auch die AIDS-Berichterstattung der „Bravo“ größtenteils positiv bewerten. Die erste Homo-Titelgeschichte gibt es trotzdem erst 1992.

Heute geht das Magazin mit queeren Stars und Storys ähnlich krawallig um wie die Boulevardmedien. Doch in Aufklärungsfragen ist die „Bravo“ unschlagbar. Schreibt heute ein verzweifelter Junge, der in seinen besten Freund verliebt ist, an das Dr.-Sommer- Team, bekommt er eine ruhige, einfühlsame Antwort.

Schwules Museum, Mehringdamm 61, bis 6. August, tägl. außer Di, 14-18 Uhr, Sa bis 19 Uhr

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