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Kultur: Schwyzerlieb

Zürich zeigt „Richard III.“ beim Berliner Theatertreffen

Mit den geflügelten Worten „Mein Königreich für ein Pferd“ fiel schon der Eiserne Vorhang. Eigentlich tobt nun noch die Entscheidungsschlacht um König Richards Untergang – allein, die Akteure und das (Rest)Publikum im Berliner Festspielhaus hatten von der Geschichte nach zweidreiviertel Stunden genug. Und so war zumindest bei kürzeren Wegen noch ein Blick in die Aufzeichnung von Real Madrid gegen Juventus Turin möglich: das wahre halbe Königsdrama des Abends. Überhaupt sollten sie beim Theatertreffen, welches ja zur Champions–League-Zeit natur- und kunstgemäß auch immer ein Fußballnarrrentreffen ist, im Foyer Fernseher aufstellen. Ich erinnere mich noch an eine Spiegelzelt-Diskussion (selig) mit Bernhard Minetti, in der wir beide nur unter der Bedingung auftraten, nichts vom damaligen Finale Bayern München gegen F.C. Porto zu verpassen. Daraufhin brach über Berlin ein Gewitter los (wie in„Lear“), ein Blitz traf die Tonleitung des Westfernsehens, und wir sahen und hörten im umtosten Spiegelzelt von da an die DDR-Übertragung mit der überraschend Bayern-freundlichen Reporterlegende Heinz Florian Oertel.

So schweifen die Gedanken ein wenig ab, weil dieser „Richard III.“ des Züricher Schauspielhauses leider zu schnell zum Vergessen ist. Selbst unermüdliche Theatertreffenbesucher waren schon in der Pause verschwunden, weil Stefan Puchers Inszenierung so gar kein Ziel oder Interesse am Stoff erkennen ließ. Es ist fast nur eine Ausstellung der Titelfigur. Und die führt Robert Hunger-Bühler als behäbig witzelnden, den Bösewicht parodierenden Conférencier vor: ein Witwenmacher und Hinterfotz der salomonisch dämonischen Art – weil weniger mit Tyrannengeist als mit einem Schweizer Grantlergemüt gesegnet. Hunger-Bühler erschien uns zuletzt als einer von Peter Steins zwei faustischen Mephistos doch um einiges aasiger; und weil er jetzt immerzu frontal zum Publikum agiert, gibt es kaum eine Bindung zum übrigen Ensemble. Darum gerät die Verführung der frisch verwitweten Lady Anne (Jule Böwe) hier so leblos wie nie, während die anderen Figuren nur in Kabinetten an der Rampe wie in einem Panoptikum an- und ausgeknipst werden: Dirty Dickie mordet bloß noch Schattenwesen. Ein gewisses Gegen-Leben entwickelt einzig Jean-Pierre Cornu als intelligent intriganter Buckingham; doch nach der Pause, wenn die Bühne von Barbara Ehnes sich öffnet und mehr Tiefe und Abgrund gewinnt, wirkt auch Cornu vom nunmehr ins Melodramatische kippenden Flachspaßspiel angegriffen.

Gerade angesichts jüngster realpolitischer Dramen eine seltsam altbackene Veranstaltung. Jeder Auftritt des saddamischen Informationsministers hatte mehr shakespearehaften Wahn und Witz als Puchers mit Perücken und Mikroports um Kunst und Leben ringender Dödelstaat. Außerdem gab’s zwei Videoeinlagen – könnte man unterhalb der Castorfschen Genieschwelle im deutschprachigen Theater nicht ein, sagen wir: dreijähriges Digicam-Verbot verhängen? So viel zum zweiten sanften Flop, nach der recht unerheblichen Eröffnungs-„Emilia“ aus Wien. Noch aber hat das 40.Theatertreffen acht weitere Chancen, ganz wunderbar zu werden. P.v.B.

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