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Schattenreich. Die intergalaktische Postbotin Yoko Suzuki (Megumi Kagurazaka) braucht elf Jahre für 81 Pakete.

© Rapid Eye Movies

Science-Fiction aus Japan: Post aus dem All

Die Erde ist bewohnbar wie der Mond: Sion Sonos magischer Science-Fiction-Film „The Whispering Star“.

Diese galaktische Stille. Ein Wasserhahn tropft, eine Motte flattert in der Deckenlampe, der Wasserhahn quietscht ein bisschen beim Zudrehen, sonst nichts. Manchmal weht aus der Ferne Musik von Marin Marais herbei, frühe Mehrstimmigkeit, archaische Wehmut.

Und die Zeit erst, ein Weltall voller Zeit. Heute wird der Kessel aufgesetzt, morgen kocht das Wasser, übermorgen kommt der Tee in die Kanne, so etwa. Zahlen gehen so: 1 Tisch, 1 Erde, 2 Sternschnuppen, 7 Sonnen, 12 Monde. Lautlos schwebt das Raumschiff zum nächsten Planeten, ein Postraumschiff mit 81 Paketen an Bord, es dauert noch etwa elf Jahre, bis das letzte ausgeliefert ist. Reklamieren darf man nur bei mehr als ein, zwei Jahren Verspätung.

Die Zukunft sieht altmodisch aus in Sion Sonos magischem Schwarz-Weiß-Film „The Whispering Star“. Das Raumschiff ist ein gewöhnliches japanisches Holzhaus, mit Dachschindeln, Bastmatten, Kühlschrank. Science-Fiction als Epitaph auf die Zukunft, als heiter-melancholische Elegie auf die fast schon ausgestorbene Spezies Mensch. Die Postbotin Yoko Suzuki erweist sich als Androidin (gelegentlich muss sie ihre Batterien auswechseln) und der Bordcomputer als Mischung aus Radioapparat und Kubricks Computer Hal in „Odyssee 2001“. Er ist kitzelig, wenn Yoko ihn abstaubt, kränkelt auch mal. Und die Pakete hinten im Raumschiff beherbergen Überbleibsel der analogen Welt. Einen Filmstreifen, eine Farbpalette, ein Kinderfoto, einen Sommerhut – banale, kostbare Dinge.

Yoko trägt sie aus, manchmal lösen sie Freude aus, manchmal unendliche Trauer. Die wenigen verbliebenen Menschen leben auf Planeten mit seltsamen Namen, in verlassenen Städten, zerborstenen Häusern, auf wilden Wiesen. Verseuchte Sphären: Manchmal ersetzen Pastelltöne oder giftige Farben das poetische Schwarz-Weiß.

Der japanische Filmemacher Sion Sono ist berühmt für seine exzentrischen Mash-up-Filme. Der Berlinale bescherte er 2009 mit „Love Exposure“ einen der wildverrücktesten Beiträge der Festivalgeschichte. Für „The Whispering Star“ hat er sein Tempo gedrosselt wie nie. Tarkowskij lässt grüßen, Kubrick sowieso, auch John Carpenter mit seinem Sci-Fi-Klassiker „Dark Star“ von 1974. Gedreht hat der 54-Jährige rund um Fukushima, die Adressaten der sphärischen Paketpost werden von früheren Bewohnern der kontaminierten Region verkörpert. Die Katastrophe hat sie heimatlos gemacht.

Sie erscheinen als Silhouetten am Meeresufer, als Strandgut, als Todgeweihte – die verlorensten Wesen der Welt. Einmal kauft Yoko bei einer greisen Kioskverkäuferin eine Schachtel Zigaretten. Überall rieselt Sand – und die Einsamkeit des Universums weht einen an.

Sion Sono war 2011 der Erste, der nur wenige Wochen nach der Reaktorkatastrophe vom 11. März in der verwüsteten Region einen Film drehte. Er arbeitete gerade an einem Drehbuch nach einem Manga über Leute, die die Sonne nicht ertragen, änderte das Skript wegen des Erdbebens und realisierte ein schrilles, apokalyptisches Poem. Für „The Whispering Star“ ist er zurückgekehrt, tastet die von der Flutwelle verwüsteten Landstriche ab, als sei die Welt zerbrechliches Glas. Dass seine Hommage an die Tsunami-Opfer so zärtlich ausfällt, mag auch daran liegen, dass Yoko-Darstellerin Megumi Kagurazaka seine Frau ist, sie spielt in fast all seinen Filmen mit.

Am Ende ihrer intergalaktischen Seelenwanderung wandelt Yoko durch ein Schattenkabinett, das von William Kentridge ersonnen sein könnte. Menschen hinter Pergamentwänden, die Allzumenschliches tun, Essen zubereiten, Ball spielen, im Schaukelstuhl sitzen. Yoko muss behutsam sein, diese letzten Überlebenden vertragen keine Geräusche über 30 Dezibel. Tröstlicher Gedanke, dass es deshalb so still ist im All.

OmU: Babylon Mitte, Brotfabrik, Filmrauschpalast, fsk Oranienplatz, Lichtblick

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