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Sebastian Winkels’ Doku „7 Brüder“: Alles wird gut

Märchenhaft: Sebastian Winkels’ Dokumentarfilm „7 Brüder“

Eines der wundersamsten Märchen der Brüder Grimm handelt von sieben Brüdern, die ein Fluch des Vaters in Raben verwandelt hat. Viele Jahre leben sie in einem Glaspalast im Himmel, doch dann findet sie ihre Schwester, und sie erhalten die menschlicher Gestalt zurück. Zu den sieben Brüdern der Familie Hufschmidt in Mülheim an der Ruhr sollte einst auch eine Schwester dazu kommen. Doch eine Retterin in der Not hätten die zwischen 1929 und 1945 Geborenen nie gebraucht. Denn man hatte einander, von Kinderrempeleien abgesehen, herzlich lieb und die Eltern dazu. Sogar der Wunsch der Mutter, einer der Söhne möge Pastor werden, ging in Erfüllung, denn Hartmut, der Zweitjüngste, gab im fortgeschrittenen Alter seinen guten Posten in der Wirtschaft auf und ließ sich für die Kanzel ausbilden.

Wir sind unseren Weg gegangen, könnten die Sieben einen Kanon anstimmen, aber der Regisseur lässt es sie einzeln in seinem klug komponierten und zugleich zur Nachfrage provozierenden Septett sagen. Zufrieden blickt ein jeder auf die Kindheit und die mit Fleiß errungene Position zurück. Niemals stand die Existenz auf dem Spiel, und die Unruhe von 1968 konnte sie kaum berühren. Gewiss, da gab es die Nazi-Zeit, wo der Vater der Partei angehörte und die Pimpfe bereit gewesen wären, ihr Leben für den „Führer“ zu opfern. Aber das hinterließ keine Spuren, und im aseptisch eingerichteten Studio, wo keine Frage aufschreckt, hat jeder Gelegenheit, seine Legenden zu stricken.

Winkels’ Abschlussfilm an der Babelsberger Filmhochschule hört sich an (denn zu sehen gibt es außer den zuweilen von der unsicher wirkenden Kamera fatal nahe geholten Gesichtern nahezu nichts) wie ein Loblied auf die Bürgertugenden. Märchenhafter als ein Märchen, wo doch meist etwas Schlimmes passieren muss, damit das Gute um so strahlender siegen kann, klingt diese Erzählung aus besseren (west-)deutschen Tagen. Gern hört man zu, wenn die Protagonisten ihren sozialen Sinn betonen. Aber was verstehen sie darunter, und warum wird er dringend gebraucht? Was predigt Hartmut Hufschmidt auf der Kanzel, und wie führt Bruder Jochen als Religionslehrer ins christliche Denken ein?

Tiefe Stille umgab die sieben Brüder während der sieben Drehtage des Films. Die Sieben als ewige Glückszahl: die sieben Hügel Roms, die sieben Weltwunder, der siebente Himmel, ja, sogar, der Schlager-Refrain „Über sieben Brücken musst du gehn“ – die Versuchsanordnung könnte Winkels von Peter Voigts verstörendem Film „Metanoia“ (1991) übernommen haben, um sie für sich zu entschärfen. Während Voigt gemeinsam mit vier Männern seiner Generation über „Umkehr, Buße, Sinneswandel“ grübelte, stiftet Winkels, 1968 geboren und somit viel weniger von den Gespenstern der Vergangenheit bedrängt als der Brecht-Schüler Voigt, eine nicht mehr als andächtig stimmende Kinostunde. Was wirklich passierte mit diesen sieben Brüdern und um sie herum, scheint ihn wenig zu interessieren.

Schon sein schöner kurzer Film „Hase und Igel“ (2000) beschwor die Community der Gutgesinnten auf der Welt. „7 Brüder“ wiederholt das Stilprinzip der auf viele Köpfe verteilten Erzählung, nur dass kein Märchen mehr nacherzählt wird, sondern reale Biografien ins Märchenhafte gewendet werden. Ein summender Teekessel im Hintergrund würde die Inszenierung komplettieren. „Leben, Leben, Bilder!“ möchte man rufen und dringend bitten, die Vorgänge beiseite zu ziehen und die Fenster weit zu öffnen. Denn Dokumentarfilm ist nicht Rückzug von der Wirklichkeit, sondern zielbewusste Näherung an das, was wirklich ist.

Cinema Paris, fsk am Oranienplatz,

Hackesche Höfe, International, Kant

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