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Große Styler. Die Seeed-Sänger Frank Dellé, Peter Fox und Demba Nabé beim ersten ihrer zwei Berliner Auftritte. Foto: Britta Pedersen/dpa

© dpa

Seeed live in Berlin: Könige im Entengang

Perfekte Show-Maschine: Seeed begeistern in der ausverkauften Berliner Max-Schmeling-Halle mit geschlossenem Mannschaftsspiel und schickem Anzuglook.

Es ist eine Art Krönungsmesse, die hier in der Max-Schmeling-Halle stattfindet. Jahrzehntelang waren Die Ärzte die Berlin-Band schlechthin, da wurde es langsam Zeit für eine neue Hauptstadtband, und die Berliner haben Seeed erwählt. Nächstes Jahr wird die Band irgendwann im Herbst zwei Konzerte in der Wuhlheide geben. Schon kurz nach Bekanntgabe der Termine waren sämtliche Tickets ausverkauft, und auch die Max- Schmeling-Halle hätten die Musiker bestimmt öfter als zwei Mal hintereinander komplett füllen können. Der Erfolg von Seeed hat mit ihrem kürzlich erschienen vierten Album endgültig galaktische Dimensionen erreicht.

Mit Seeed als den neuen Königen der Stadt haben die Berliner eine gute Wahl getroffen. So wie Die Ärzte zum alten Berlin passten, als unprätentiöse und gewitzt punkige Rockband, repräsentieren Seeed bestens das neue Berlin, in dem es plötzlich ein Style- und Modebewusstsein gibt und Deutsch nur noch eine Sprache unter vielen ist. Seeed präsentieren sich als multikulturelle Truppe, die auch mal Englisch singt und den Berlinern beigebracht hat, dass man Anzüge tragen und trotzdem cool sein kann. Das einzige Problem könnte sein, dass Seeed fast schon zu groß für Berlin sind. Die Ärzte verspielten sich immer mal, ihr genialer Dilettantismus entsprach dem etwas zotteligen Geist Kreuzbergs. Seeed dagegen funktionieren in der Max- Schmeling-Halle wie eine perfekt geölte Show-Maschine, wie eine richtige Metropolenband – während ihre Heimatstadt schon mit dem Bau eines Flughafens oder dem Winterbeginn überfordert ist.

Gut, der Erfolg kam nicht über Nacht, Seeed sind jetzt schon beinahe 15 Jahre damit beschäftigt, ihren Reggae und Dancehall zu verfeinern. Aber die Gewissheit, dass ausgerechnet eine Reggaeband aus Deutschland nicht nur ein vorübergehenes Phänomen sein könnte, hat man erst jetzt, als nach siebenjähriger Veröffentlichungspause das neue Album der Gruppe in Rekordgeschwindigkeit die Spitze der Charts erreichte.

Auf der Bühne stehen in gut geschnittenen Anzügen 13 Musiker, die ihre Riddims pumpen und traumwandlerisch verkiffte Offbeats streuen. Die Blechbläsersektion blendet zudem immer wieder diese typisch zackigen Seeed-Fanfaren dazwischen. Dass eine riesige Halle in der Currywurststadt Berlin dazu erbebt, hat dennoch etwas leicht Surreales. Reggae aus Deutschland! Das hielt vor einigen Jahren kaum jemand überhaupt für möglich. Doch dann kamen der Erfolg des Kölners Gentleman, die Reggae-Experimente des Hamburgers Jan Delay und eben Seeed, die inzwischen eine der weltweit erfolgreichsten, Reggaebands sind. Manche sagen, der Erfolg des deutschen Reggae sei einer typisch deutschen Beharrlichkeit geschuldet. Rapper aus den Vereinigten Staaten sind ja immer wieder erstaunt, wie bierernst hierzulande Hip-Hop genommen wird. So fiel etwa Gentleman seinerzeit damit auf, jamaikanischer als jeder Jamaikaner klingen zu wollen.

Genau das tun Seeed nicht. Ihr Sound ist ganz klar international konkurrenzfähig und erfüllt locker jamaikanische Dancehall-Standards. Gleichzeitig ist da aber auch dieser Lokalkolorit, sei es textlich wie in der Berlinhymne „Dickes B“ oder dank der größtenteils deutsch gesungenen Texte. Ein anderes Geheimnis für die Massentauglichkeit könnte zudem der Gesangsstil von Peter Fox sein. Er und vor allem der Seeed-Sänger Dellé teilen sich die Front an der Bühne, vollführen permanent diesen Seeed-Tanz, bei dem man in die Knie geht, den Oberkörper zurücklehnt und den Entengang einlegt. Doch während Dellé mit seiner Stimmfärbung immer etwas strebermäßig wie ein diplomierter Abgänger der Dancehallschule klingt, singt Peter Fox einfach nur. Er singt gut, aber doch eher wie ein Sohn Herbert Grönemeyers als wie einer von Bob Marley. Mit dieser Art zu singen ist Peter Fox einfach der perfekte Übersetzer der jamaikanischen Tradition ins Deutsche.

Seit seinem sensationellen Solo-Erfolg als „Stadtaffe“ ist Peter Fox natürlich Primus inter Pares. Er singt die meisten Songs, die Blicke sind auf ihn gerichtet. Doch allein die Banduniformierung, dieser kollektive Anzugträgerlook, und die Choreografien, bei denen sich die ganze Band immer wieder präzise wie eine Boygroup miteinander bewegt, verdeutlicht das Selbstverständnis von Seeed, vor allem die Summe der einzelnen Teile sein zu wollen.

Was diese Band auf der Bühne leistet, ist schon phänomenal. Schwer zu sagen, ob man gerade ein herausragendes oder ein vergleichsweise mittelmäßiges Konzert erlebt, man hat einfach das Gefühl, Seeed sind live einfach immer großartig. Weil sie es schaffen, sich wie Borussia Dortmund als Mannschaft gegenseitig nach vorne zu treiben. Wenn die Bläser sehen, wie die Sänger da vorne in die Knie gehen und vor Verausgabung die Handtücher zum Schweißabtupfen gar nicht mehr aus den Händen geben, können sie gar nicht anders, als bei ihren Einsätzen Volldampf zu geben. Und so spielt sich diese Band regelrecht in einen Rausch. Eigentlich ist es schwer vorstellbar, dass es bloß bei den zwei bereits ausverkauften Konzerten von Seeed im nächsten Herbst bleiben wird. Die Berliner lieben ihre neuen Könige. Sie werden sie öfter sehen wollen.

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