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Kultur: Seele ohne Heil

„Exercices du Silence“ in der Schiller-Werkstatt

Ausführungen von Jean Genet über den Seiltänzer sind Subtext der „Exercices du Silence“ von Brice Pauset. Das Seil trägt ihn, doch am Boden stolpert er. Ein Seiltanz ist auch das ganze Monodram des in Freiburg lehrenden französischen Komponisten – lässt sich doch nicht ausmachen, ob hier die Erfahrung religiöser Ekstase oder eine ihrer Lebensfeindlichkeit geschuldete Psychose vorgeführt wird. Und so ist es folgerichtig, die szenische Erstaufführung an der Staatsoper im Schillertheater der Choreografin Reinhild Hoffmann anzuvertrauen.

Salome Kammer ist Louise de Néant (Louise von Nichts), nach deren Briefen das Libretto entstand. In 14 Stationen, rhythmisch gegliedert nach „Kasteiungen“, „Ekstasen“ und „Passacaglien der Demütigung“, ersteht das Bild einer jungen Adligen des 17. Jahrhunderts, die ihre Eitelkeit durch gottgefällige Selbsterniedrigung bekämpfen wollte. Die kannte keine Grenzen – bis zum Lecken geschwüriger Wunden ist hier alles drin, was jedes Dschungelcamp blass aussehen ließe. Das erspart Hoffmann dem amüsiert-interessierten Publikum: Der Ekelfaktor verliert sich in röchelnder Elektronik, die Olivier Pasquet und Maxime Le Saux vom IRCAM Paris steuern, oder in ächzenden Rachenlauten der Stimmakrobatin Kammer. Ansonsten herrscht ästhetisierte Reduktion. Pauset hat der Sängerin nur noch einen Pianisten beigesellt. Benjamin Kobler darf an zwei Flügeln auf zwei Ebenen der in spartanischem Schwarz-Weiß gehaltenen Werkstattbühne (Mark Lammert) so scharf punktuell wie klangvoll agieren. Männliche Gewalt verkörpert er, wenn er die Sängerin mit dem Eisenstab dirigiert.

Und so wird das Ganze doch eher zum Erotik-Drama: Nachdem Kammer das Pelzmäntelchen abgeworfen hat, sieht ihr schlank-muskulöser Körper auch in ärmellosem Top und geschlitztem Rock nicht sehr asketisch aus, windet sich leidend-lustvoll um die schwere, kaum zu stemmende Eisenstange oder das lange rote Seil, das sie schließlich zum Himmel besteigen soll. Doch fasziniert sie mit darstellerisch-stimmlicher Präsenz, mit dem Umschlag von selbstquälerischem Anti- Gesang bis zu ekstatischem Klangglanz ihres wandlungsfähigen Organs. So gelingt es Kammer, die seelischen Grenzüberschreitungen der Louise Néant zwingend nachzuzeichnen. Isabel Herzfeld

Wieder am 17./18./20./22./23.1., 20 Uhr

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