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Kultur: Seelennahrung für Süchtige

Allzu selten sind diese Abende, an denen das eifrig proklamierte Weltniveau der Berliner Opernhäuser sich tatsächlich ereignet.Die Wiederaufnahme des "Fidelio" an der Staatsoper Unter den Linden ist ein solcher Abend, der Musiksüchtigen Seelennahrung für etliche Tage spenden kann.

Allzu selten sind diese Abende, an denen das eifrig proklamierte Weltniveau der Berliner Opernhäuser sich tatsächlich ereignet.Die Wiederaufnahme des "Fidelio" an der Staatsoper Unter den Linden ist ein solcher Abend, der Musiksüchtigen Seelennahrung für etliche Tage spenden kann.

Die Produktion von Stéphane Braunschweig mag man in ihrem kühlen, an eine Computersimulation erinnernden Understatement mögen oder nicht, sie ist zumindest ästhetisch auf der Höhe ihrer Zeit und behindert die Darsteller nicht nennenswert.Doch die Ereignisse spielen sich ohnehin für die Ohren ab: Sicher und stimmkräftig wie selten singt der Chor der Staatsoper, wunderschön spielt die Staatskapelle unter Sebastian Weigle, der Klang der einzelnen Orchestergruppen mischt sich perfekt und bleibt doch transparent.Plastisch treten immer wieder einzelne Stimmen hervor, werden behutsam ausmodelliert, ohne zum isolierten Effekt zu pervertieren.

Weigle hat in der letzten Zeit an dirigentischer Statur gewonnen, sein "Fidelio" zeigt es.Die einleitende Leonorenouvertüre Nr.2 könnte noch mehr an dramatischer Spannung vertragen, in den durchhängenden Generalpausen vor allem zeigt sich, daß Weigle mit seinen Tempoextremen hier den Erzählbogen noch überspannt.Das ist schnell vergessen, denn mit Beginn der Handlung legt sein Dirigat an Zugkraft und Suggestivität zu, gibt jeder Nummer einen ganz eigenen Stimmungswert vor.Und wie großartig füllen die Sänger diese Vorgaben aus: Da ist Pär Lindkogs Jaquino - wie erfreulich ist es, wahrzunehmen, daß dieser Sänger im Ensemble stimmgerecht herangereift ist (und nun für Größeres bereit scheint), statt frühzeitig verschlissen zu werden.Oder Daniel Borowski, neues Ensemblemitglied und Rollendebütant, der dem Ferrando seinen samtigen Baßbariton von aufsehenerregender Schönheit mitgibt.

Anfängliche Skepsis darüber, warum ausgerechnet für die typische Ensemblerolle der Marzelline der Gastetat beansprucht werden muß, legt sich angesichts von Judith Howarths warm timbriertem lyrischen Sopran, der vor allem in den Ensembles prächtig aufblüht.Der Meister Rocco, Siegfried Vogel, hat diese Rolle vermutlich schon aberhundertmal gesungen; er strahlt Routine im positiven Sinne aus, ist mit seiner darstellerischen Unerschütterlichkeit und der vor allem im tieferen Register noch erstaunlich gerundeten Stimme ein Eckpfeiler des Abends.Denn der stand eigentlich unter einem schlechten Vorzeichen: Als Pizarro sprang für den erkrankten Falk Struckmann kurzfristig der Brite Gidon Saks ein und gab sein Hausdebüt.

Saks soll im November in London einen mitreißenden Boris Godunow gesungen haben - man glaubt es gern, wenn man diese große Stimme mit ihrem metallisch intensiven Timbre hört - vokal wie darstellerisch der perfekte Fiesling.Und wer könnte derzeit den Florestan sicherer singen als Johan Botha? An Innigkeit in der Gestaltung wird er sicher noch gewinnen, vorderhand ist schon die souveräne Stimmführung, der perfekte Registerausgleich und die klare Diktion ein beglückendes Erlebnis.Schade allein, daß der Fidelio, Deborah Polaski, hörbar erkrankt war.Den Höhenjubel des zweiten Aktes kann sie nur noch mit letzter Kraft absolvieren, auch in ihrer darstellerischen Präsenz wirkt die große Staatsopern-Brünnhilde und Elektra über weite Strecken eingeschränkt.Was sie als Fidelio zu leisten vermag, werden die Folgeaufführungen zeigen - wer nicht dabei ist, hat selber schuld.

"Fidelio" ist noch einmal am 7.Januar um 19 Uhr und am 10.Januar um 19.30 Uhr in der Staatsoper Unter den Linden zu sehen.

JÖRG KÖNIGSDORF

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