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Kultur: Seeschlacht im Park

London statt Berlin: Der Künstler Anselm Kiefer baut sich sein eigenes „mobiles Museum“

Mögen sich das Bauamt des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf und der Dortmunder Bauinvestor Hans Grothe nur um ein Anselm-Kiefer-Museum in Berlin streiten: Den Künstler selbst berührt das nicht. Er baut sich selbst „mobile“ Museen, die jeder haben kann, der den Preis aufbringt. Der Prototyp ist im Augenblick in London zu sehen. Ein Container in der Größe eines Häuserblocks füllt fast den halben Hoxton Park im East End. Darin befindet sich dicht an dicht vom Boden bis zur Decke Kiefers Zyklus von 30 neuen Werken. Einige besonders große Gemälde werden in der gegenüberliegenden „White Cube Gallery“ gezeigt, die die erste große Ausstellung seit acht Jahren des in Großbritannien bekanntesten deutschen Künstlers ausrichtet.

Berlin entgeht also einiges, wenn das von Grothe angebotene Museum daran scheitert, dass er als Gegenleistung fordert, im Hinterhof eines denkmalgeschützten Gebäudes in der Joachimstaler Straße ein Hochhaus bauen zu dürfen. In Großbritannien und den USA jedenfalls hat Anselm Kiefer eine Spitzenstellung in der Kunst der Moderne inne. So wurde der Container bereits für fünf Millionen Euro an einen privaten amerikanischen Sammler verkauft. Dieser wird ihn zunächst im Aldrich Contemporary Art Museum in Ridgefield, Connecticut, ausstellen und dann auf Tournee durch andere amerikanische Museen schicken. Für die drei in der Galerie ausgestellten Gemälde hat Kiefer 500000Euro erzielt.

Gewidmet ist sein Zyklus dem russischen Mathematiker, Dichter und Denker Velimir Chlebnikov (1885–1922). Chlebnikov schrieb 1909 „Eine Ohrfeige dem allgemeinen Geschmack“, das als Manifest des russischen Futurismus gilt. Als sein abenteuerliches und exzentrisches Leben nach 37 Jahren ein Ende fand, schrieb sein Freund Wladimir Majakowski: „ Er war äußerst unpraktisch und nachlässig im Verhältnis zur eigenen Poesie und zur eigenen Existenz. In seinem ganzen Leben hat er keine einzige Zeile selbst veröffentlicht. Sein armes schäbiges Leben war nichts anderes als ein Märtyrerdasein für die Idee der Poesie.“

Wie Chlebnikov mit der russischen Sprache und slawischer Mythologie, experimentiert Kiefer mit Bildersprache und Mythologie. Doch was ihn an dem Russen besonders faszinierte, war dessen Hang zur Numerologie. Chlebnikov entwickelte eine Art „Weltformel“, mit der sich die Serie großer historischer Ereignisse im Nachhinein berechnen und demzufolge auch in Zukunft prophezeien lässt. Handschriftlich hat Kiefer diese Theorie auf einem Gemälde als Motiv für seine Werkschau vermerkt: „Zeit, Maß der Welt-Schicksal der Völker, die Lehre vom Krieg. Seeschlachten wiederholen sich alle 317 Jahre oder deren Vielfachen, für Velimir Chlebnikov.“

Kiefer hält diese Hypothese zwar für „völligen Unsinn“, aber dennoch so revolutionär wie „Dada, die große Antikunstbewegung des 20. Jahrhunderts”. Chlebnikov gab dem vor 60 Jahren im küstenfernen Donaueschingen geborenen Maler den Anlass, sich ausführlich mit einem der dramatischsten und emotionalsten Themen der Kunst auseinander zu setzen: der Seeschlacht. Es war ein langer Prozess. Der riesige Kasten aus Wellblech im Londoner Park ist die Kopie eines der vielen Schuppen in Kiefers Landgut in der Provence, wo er die Früchte seiner Arbeit reifen lässt. Im stumpfen Grau von Schlachtschiffen und stilvoll wie ein U-Boot-Bunker ist der Kunstcontainer ein kongenialer Rahmen für die Gemälde.

Es sind eigentlich mehr Reliefs als Bilder, mit wuchtig gespachteltem Untergrund für satte Farbschichten. Daraus springen die aus Blei gegossenen Schiffswracks und Objekte in den Raum. Im Zentrum der Ausstellung fühlt man sich wie in einem Diorama, bei dem sich das Volk früher an großen Schlachten erbaute. Doch Kiefers Gemälde sind kein Heldenepos, sondern ein beklemmendes Zeugnis für das Grauen eines Seekrieges. Obwohl er handschriftlich auf den Bildern die Namen historischer Seeschlachten und berühmter Schiffe vermerkt, tobt sein Seekrieg nur im Nordatlantik, und die Wracks sind vorwiegend U-Boote. Mit seiner Vielfalt fahler bis lodernder Farben erinnert Kiefer an die klassischen Vorbilder der Seedramen von Caspar David Friedrich und William Turner.

Doch anders als diese stülpt Kiefer das Meer einfach um: Bodenschlamm und Geröll drängen an die Wasseroberfläche, und die Wracks sehen aus wie die gesunkene „Titanic“ in den gespenstischen Videos der Ortungskameras. Rein technisch erreichte Kiefer diesen Effekt dadurch, dass er die Bilder in Südfrankreich lange Zeit dem Wind, der Sonne und dem Regen aussetzte, die das Metall mit Rost und Patina überzogen und die Farben platzen ließen. Das Ergebnis ist von einer Gewalt und Zerstörungskraft, die weit über den Bildinhalt hinausstrahlt. Britische Kritiker fühlten sich durch Kiefers Wracks nicht von ungefähr an die explodierten U-Bahn-Züge nach dem Terroranschlag erinnert.

„Für Chlebnikov“ wurde von der Galerie „White Cube“, London, 48 Hoxton Square, arrangiert. Sie läuft bis zum 30.Juli. Darauf folgt der zweite Teil der Kiefer-Schau. Info: www.whitecube.com

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